Um ihrem Satzungsziel, „die Wissenschaft in all ihren Zweigen“ zu fördern, gerecht zu werden, setzte die Deutsche Forschungsgemeinschaft von Beginn an auf das Instrument der Fachausschüsse. Diese setzten sich aus Fachgutachtern zusammen, die ehrenamtlich aktiv waren und durch Wahl bestimmt wurden. Ihr Auftrag war, gleichermaßen wissenschaftliche Unabhängigkeit und wissenschaftliche Qualität des Förderhandelns zu gewährleisten.
Die Wissenschaftler, die in diesen Gremien tätig waren, galten als Experten ihres Faches. Sie nutzten diese Expertise, um die Qualität eingereichter Anträge zu bewerten und eine Förderung oder Ablehnung zu empfehlen. Die formale Entscheidung erfolgte dann durch den Hauptausschuss, nicht selten aber auch direkt durch den DFG-Präsidenten. Wurden die ersten Fachausschüsse 1920 noch „auf Grund von Vorschlägen der Akademien und des Verbandes Deutscher Hochschulen“ (Notgemeinschaft, 1922: 8) besetzt, erfolgte bereits im dritten Jahr der Gründung der Notgemeinschaft deren erste allgemeine Wahl. Im Tätigkeitsbericht der Notgemeinschaft wird hierzu Folgendes ausgeführt:
„Es wurde beschlossen, auf breiter Basis eine allgemeine Wahl vorzunehmen, unter Beteiligung sämtlicher ordentlichen und außerordentlichen, Honorar- und im Ruhestand befindlichen Professoren, der Privatdozenten der der Notgemeinschaft angeschlossenen Hochschulen, der ordentlichen und außerordentlichen und deutschen korrespondierenden Mitglieder der Akademien und der Direktoren und wissenschaftlichen Mitglieder der Kaiser-Wilhelm-Institute sowie solcher Persönlichkeiten, denen als anerkannten Forschern seitens des Präsidiums und Hauptausschusses das Wahlrecht beigelegt wurde. Die Neuwahlen sind nach diesem Beschluß zu Anfang des Jahres 1922 durchgeführt worden. Etwa 7000 Wahlformulare sind den Wahlberechtigten verteilt worden, von denen etwa die Hälfte von ihrem Wahlrecht Gebrauch gemacht hat.“
Quelle: Notgemeinschaft 1922: 8.
Das Mandat der Fachausschüsse beschreibt ein klar als „Anweisung“ überschriebenes Dokument wie folgt (Auszug):
„Auf der Arbeit der Fachausschüsse beruht letzten Endes die Tätigkeit der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft. Die Fachausschüsse tragen daher für die einzelnen Bewilligungen seitens der Notgemeinschaft die Verantwortung. Da der Umfang der Mittel der Notgemeinschaft trotz aller zahlenmäßigen Erhöhungen dem gesamten Bedürfnis gegenüber sehr klein geblieben ist, während andererseits die Verarmung der wissenschaftlichen Forschung weiter um sich gegriffen hat, muß die Notgemeinschaft sich noch mehr darauf beschränken, mit Hilfe der Fachausschüsse wenigstens die lebensnotwendigen Grundlagen der Forschung zu erhalten. Daraus folgt, daß alles Minderwichtige, so bedauerlich dies für die Erhaltung einer möglichst breiten Grundlage der Forschung auch sein mag, von einer Unterstützung durch die Notgemeinschaft ausgeschlossen sein muß, damit die für die Weiterentwicklung wertvollen Kräfte bei ihrer Arbeit um so gründlicher unterstützt werden können. Hinsichtlich des Umfangs von Veröffentlichungen wie in der Durchführung wissenschaftlicher Versuche und Unternehmungen muß jede, mit dem Zweck vereinbare Beschränkung geübt werden.
Im allgemeinen muß es der Verantwortung des Fachausschusses und des einzelnen Vertreters im Fachausschusse überlassen bleiben, welche Anträge er zur Unterstützung empfiehlt. Seiner Übersicht wird es bei strengster Kritik gelingen, allen wirklichen Bedürfnissen Rechnung zu tragen. So bleibt dem Fachausschuß im allgemeinen volle Freiheit gewahrt.
Doch sind bei der Arbeit der Fachausschüsse im vorigen Jahr bereits wertvolle Erfahrungen gesammelt, die einen Anhalt für die Beurteilung etwaiger Anträge bieten mögen [...]. Bei der Beurteilung von Anträgen ist es somit nicht unbedingt erforderlich, daß der Antragsteller bereits große Leistungen aufzuweisen hat, wohl aber, daß Person und Sache für die Forschung wertvoll sind und zu Hoffnungen berechtigen.
Als leitender Gesichtspunkt ist zu beachten, daß alle Arbeiten, die der Notgemeinschaft empfohlen werden, auch wirklich mit voller Kraft unterstützt werden sollen; mit halben Maßnahmen kann nichts Bedeutendes erreicht werden. Alle Kraft der Notgemeinschaft muß sich auf das Wertvollste konzentrieren. Non multa sed multum.
[es folgen detaillierte Hinweise zur geschäftlichen Behandlung der Anträge]
Die Tätigkeit der Fachausschüsse beschränkt sich nicht auf die Begutachtung von eingereichten Anträgen, vielmehr steht es den Fachausschüssen frei, aus eigener Initiative die Notgemeinschaft zu beraten und selbst Vorschläge für Forschungsaufgaben zu machen, die für das von ihnen vertretene Fach von Bedeutung sind und deren Bearbeitung ein dringendes Zeiterfordernis ist. Die Aufweisung neuer Forschungsziele und der dafür vorgesehenen Arbeitskräfte wird für die Notgemeinschaft von besonderem Werte sein, auch wenn im Einzelfall die Möglichkeit der Bewilligung der erforderlichen Mittel vorbehalten bleiben muß.“
Quelle: Sonderdruck aus den „Mitteilungen des Verbandes der Deutschen Hochschulen“. II. Jahrgang 1922, Heft 12: 1-4 (Auszüge).
Die Mitglieder der Fachausschüsse wurden zunächst für zweijährige, ab 1928 für vierjährige Wahlperioden bestimmt – zumindest sah es so die Satzung vor. Tatsächlich herrschte in jenen Jahren aber noch ein sehr stark präsidial geprägtes System: Friedrich Schmidt-Ott setzte sich nicht nur oft über die Förderempfehlungen der Fachausschüsse hinweg. Er versäumte es auch schlicht, tatsächlich satzungsgemäß Wahlen durchzuführen: Weder 1924 noch 1926 noch 1928 wurde gewählt, mit der Folge, dass die Männer, die einmal ins Amt gekommen waren, dort größtenteils über viele Jahre blieben. Die letzte Wahl vor der Überführung in den Reichsforschungsrat (RFR) fand schließlich (verzögert) im Februar 1933 statt.
Mit der Neugründung der DFG im Jahr 1949 wurde das Fachausschuss-System wieder aufgegriffen. Um zu große Macht einzelner „Fachfürsten“ zu verhindern, wurde als wesentliche Neuerung eingeführt, dass grundsätzlich jedes Fach, unabhängig von seiner Größe, von mindestens zwei Personen zu betreuen war. Das System hatte bis Anfang der 2000-er Jahre Bestand, mit regelmäßigen, meist behutsamen Anpassungen des Fächerkatalogs. 2003 erfuhr das System dann eine umfassende Reform, die sich auch in einem Namenswechsel manifestierte: Aus Fachausschüssen wurden Fachkollegien (zu diesen und weiteren Aspekten der Entwicklung vgl. einen Artikel im DFG-Magazin).
Das für GEPRIS Historisch zugrunde gelegte System der Fachausschüsse unterscheidet insgesamt 21 dieser Gremien. Jeder im System nachgewiesene Förderfall bis 1936 wurde in der Regel durch ein gewähltes Mitglied des erfassten Fachausschusses bewertet. Als 1937 der Reichsforschungsrat (RFR) den größten Teil der DFG-Geschäfte übernahm, verblieben nur noch wenige Förderentscheidungen bei der DFG-Geschäftsstelle beziehungsweise ihren Fachausschüssen, nämlich in Gebieten, „denen sich der Reichsforschungsrat nicht zuwendet, so der Auslandsdeutschen und Volksdeutschen Forschung, (und) der Forschung auf dem Gebiet der Geisteswissenschaften“ (zitiert nach Zierold (1968), aus einem Schreiben des Bildungsministers Rust an DFG-Präsident Mentzel vom 21. 9. 1937, S.218). Über das Gros der Förderung wurde nun in sogenannten Fachsparten entschieden.
GEPRIS Historisch bietet die Möglichkeit, die etwa 50.000 nachgewiesenen Anträge nach Fächern zu filtern. Um für den gesamten Berichtszeitraum des Informationssystems eine einheitliche Fachsystematik nutzen zu können, wurde eine manuelle Nachklassifikation der in der RFR-Zeit in Fachsparten bearbeiteten Fälle vorgenommen. Das Gros der Anträge ab 1937 weist so die Besonderheit auf, dass sie sowohl Fachausschüssen wie auch Fachsparten zugeordnet sind.
Die in den 21 Fachausschüssen tätigen Wissenschaftler – bis zur letzten Wahl 1933 ausschließlich Männer – wurden jeweils für bestimmte Fächer gewählt. Der Zuschnitt der Fächer wurde mit jeder Wahl auf den Prüfstand gestellt, ein Prinzip, das auch heute noch in den Fachkollegien Bestand hat. Wurden in der Wahl 1922 noch 100 Fächer mit 107 Fachvertretern besetzt, so waren es 1932 bereits 116 Fächer mit 136 Gewählten. Die Zahl der Fachausschüsse blieb im gesamten Zeitraum stabil.
Enno Littmann, Vorsitzender des Fachausschusses für Alte und orientalische Philologie (1930–1933) in Aksum (2. v. r.), mit weiteren Teilnehmern der Deutschen Aksum-Expedition und Gouverneur Gebre Selassie, Februar 1906.
Quelle: FU Berlin, Public Domain.
Für die Nutzung der Fachsystematik ist es hilfreich, die fachliche Zusammensetzung der Fachausschüsse zu kennen. Die folgende Tabelle gibt diese für den Stand 1932 wieder – einschließlich der Namen der Personen, die diese Fächer seinerzeit repräsentierten (per Klick auf einen Namen erreichen Sie die entsprechende Personensicht in GEPRIS Historisch, per Klick auf einen Fachausschuss die diesem zugeordneten Anträge). Deutlich wird so etwa, dass der Fachausschuss „Philosophie“ neben dem namensgebenden Fach auch die Psychologie und die Pädagogik umfasste. Oder dass die „Klassische Archäologie“ als Teilgebiet der „Alten und Orientalischen Philologie“ betrachtet wurde. Den Status einer Teildisziplin der „Wirtschaftswissenschaften“ nahm das Fach „Allg. Nationalökonomie unter bes. Berücksichtigung der Soziologie“ ein. Die „Astronomie“ war bis 1927 noch ein Unterfach der „Mathematik“ und wechselte dann in die „Physik“. Auch die „Geodäsie“ bildete im betrachteten Zeitraum ein Unterfach der „Mathematik“.
Und es findet sich auch das ein oder andere Beispiel für einen besonderen Zeitgeist – etwa in Form des Faches „Eingeborenensprachen“ als Teilgebiet der „Völkerkunde“. Das Fach hatte auch nach 1949 noch eine gewisse Zeit Bestand, es wurde erst mit der Wahl von 1959 aufgelöst und durch das Fach „Afrikanische, Indonesische und Südseesprachen“ abgelöst.
Tabelle 1: Zusammensetzung der Fachausschüsse der Notgemeinschaft (Stand: 1932)
Quelle: Notgemeinschaft 1933: 104ff.
Apropos „Zeitgeist“: Auch nach der Neugründung der DFG 1949 wurde zunächst noch mit einer rein männlich zusammengesetzten Mitgliedschaft der Fachausschüsse gearbeitet, so auch im Jahr der zweiten Wahl (1951). 1955 wurde dann zum ersten Mal eine Frau gewählt und die Frankfurter Professorin Edith Heischkel-Artelt übernahm im Fachausschuss „Geschichte der Naturwissenschaften, der Medizin und der Technik“ zunächst das Fach „Geschichte der Biologie und der Medizin“ und mit der Wahl 1959 schließlich auch den Vorsitz des Fachausschusses. Sie folgte damit ihrem Ehemann, der dieses Amt bis 1954 innegehabt hatte.
Auch in den Folgejahren blieben Frauen als Fachausschuss-Mitglieder die große Ausnahme. Von 1959–1962 waren insgesamt drei Frauen im Amt ( Mathilde Hain, ebenfalls Frankfurt/M., für die Volkskunde und Margarete Woltner, Bonn, für die Slawistik), 1963 bis 1966 war wiederum nur Margarete Woltner aktiv und auch in den folgenden Wahlperioden blieb es bei jeweils zwei Frauen. Erst Mitte der 70-er Jahre sollte sich die Zahl mit zunächst sieben Frauen Wahl für Wahl erhöhen.
Notgemeinschaft 1922: Bericht der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft über ihre Tätigkeit bis zum 31. März 1922, Berlin.
Notgemeinschaft 1933: Zwölfter Bericht der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft über ihre Tätigkeit vom 1. April 1932 bis zum 31. März 1933, Berlin.
Zierold, Kurt: Forschungsförderung in drei Epochen. Deutsche Forschungsgemeinschaft, Geschichte, Arbeitsweise, Kommentar, Wiesbaden 1968