Deckblatt der Festschrift zur Gründung des Reichsforschungsrates
Quelle: DFG-Archiv
Der Reichsforschungsrat (RFR) wurde am 16. März 1937 gegründet, um die Forschung auf militärpolitische Ziele auszurichten. Er bestand aus 13 Fachsparten, die jeweils von einem „Fachspartenleiter“ betreut wurden, der eigenständig über Anträge entscheiden konnte. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft musste daher die Förderbereiche, die den expansiven und gesellschaftsbiologischen Zielen des Nationalsozialismus dienlich sein konnten – die Natur-, Agrar- und Technikwissenschaften – an den RFR abtreten. Für diese Fächer war es von nun an wichtig, die „richtigen“ Antragsteller und Projekte für den Krieg nutzbar zu machen. Um dies zu erreichen, wurden die Fachausschüsse dieser Bereiche aufgelöst und stattdessen durch 13 sogenannte Fachsparten (später 16) ersetzt, deren Leiter mit einer enormen Machtbefugnis ausgestattet wurden. Es lag in ihrem eigenen Ermessen, Gutachten einzuholen oder nicht; letztendlich entschieden sie über alle Anträge souverän. Sie wurden zudem nicht mehr von der wissenschaftlichen Community berufen, sondern vom Reichserziehungsminister. Damit entschieden die Fachsparten über das, worüber zuvor gewählte Mitglieder in den Gremien befunden hatten. Das Prinzip einer pluralistischen Meinungsbildung bei der Begutachtung der Förderanträge war abgeschafft.
Mit ihren anwendungsorientierten, zum Teil auf Wehr- und Ersatzstofffragen ausgerichteten Gemeinschaftsarbeiten war die DFG schon vor 1933 den Bestrebungen der Reichswehr und der Industrie entgegengekommen. Diese hatten etwa seit 1923 gemeinsam auf eine zunehmende „Erschließung des deutschen Wirtschaftspotentials für militärische Zwecke“ und eine „Umstellung auf heimische Rohstoffe“ hingearbeitet (vgl. Flachowsky, 2008: 217). Dieser Fokus wurde durch die zunehmend schwierigere Versorgung mit Nahrungsmitteln, Treibstoffen und Rohstoffen Mitte der 30-er Jahre weiter geschärft. Am 4. April 1936 ernannte Hitler Hermann Göring zum Leiter des „Rohstoff- und Devisenstabes“. Im August 1936 forderte er, die deutsche Wirtschaft müsse in vier Jahren „kriegsfähig“ und die Wehrmacht in vier Jahren „einsatzfähig“ sein. Dies bildete die Grundlage für den am 9. September 1936 verkündeten Vierjahresplan und des von Göring nun als „Vierjahresorganisation“ geführten Stabes.
Zeitschrift Der Vierjahresplan 1941.
Quelle: DHM.
Der Vierjahresplan wirkte sich auch auf die Wissenschaft aus. In seiner Gründungsverfügung über den Reichsforschungsrat vom 16. März 1937 hielt der Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung Bernhard Rust einleitend fest: „Die großen Aufgaben, die der Vierjahresplan an die deutsche Wissenschaft stellt, machen es notwendig, dass alle Kräfte auf dem Gebiet der Forschung, die der Erfüllung dieser Aufgabe dienen, einheitlich zusammengefasst und planmäßig eingesetzt werden“ (Flachowsky, 2008: 232). Wie der Wissenschaftsminister gegenüber Rudolf Mentzel, seit November 1936 zunächst kommissarischer, dann ab Oktober offiziell ernannter Präsident der DFG, im September 1937 ausführte, bestand zwischen der DFG und dem RFR im Hinblick auf die Forschungsförderung eine klare Aufgabentrennung. Der Reichsforschungsrat sollte sich auf das Gebiet der Natur- und Technikwissenschaften sowie die „im Dienst des Vierjahresplans stehenden Forschungen“ konzentrieren. Er sollte somit Aufgabenfelder übernehmen, deren Betreuung bis dahin bei der DFG gelegen hatte. Der DFG verblieben die „sonstigen Aufgaben“ auf den Gebieten, denen sich der RFR nicht zuwandte – so etwa die Betreuung der auslands- und der volksdeutschen Forschung sowie der Geisteswissenschaften. In diesem Zusammenhang wurde auch die DFG-Geschäftsstelle eng mit dem RFR verknüpft, indem im Gründungserlass festgehalten wurde, die Referenten der DFG seien fortan „für den Bereich der Aufgaben des Forschungsrates Mitarbeiter und Sachbearbeiter“ des RFR (Flachowsky, 2008: 231ff.).
Der Gründungserlass über den Reichsforschungsrat legte weiterhin fest, dass dessen Präsident „die Entscheidungen über einzelne Angelegenheiten oder über zusammenhängende Fragen“ auf sogenannte Fachspartenleiter übertragen könne. Diese verfügten dabei über ein deutlich höheres Maß an Entscheidungsbefugnis als die zuvor amtierenden Fachausschussvorsitzenden, denn sie entschieden nicht nur, sondern waren bis zu einem gewissen Grade sogar forschungssteuernd tätig. Mentzel führt hierzu Anfang 1938 aus: „Die Leiter der einzelnen Fachgliederungen im Reichsforschungsrat sind nicht nur beratend tätig, sondern haben im Benehmen mit allen in Betracht kommenden Fachgenossen und Instituten aktive Wissenschaftspolitik zu treiben, ohne dass hierbei die Freiheit in der Durchführung der Forschungsaufgaben beeinträchtigt wird. Ihnen ist die Entscheidung über die Unterstützungsanträge bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft teils direkt, teils indirekt eingeräumt und die Aufstellung und finanzielle Sicherstellung von Forschungsprogrammen, bei deren Durchführung zahlreiche Institute und Einzelforscher beteiligt sind, in die Hand gegeben“ (Flachowsky, 2008: 236).
Die Fachspartenleiter hatten die auf ihrem Fachgebiet eingehenden Forschungsanträge zu begutachten und verantworteten die Entscheidung über die finanzielle Unterstützung der einzelnen Vorhaben. Erst nach ihrem positiven Votum, das auch eine Stellungnahme über die Höhe der beantragten Mittel einschloss (Flachowsky, 2008: 236), wurden die Sachbeihilfen oder Stipendien von der Kasse der DFG ausgezahlt. Die Begutachtungs- und Entscheidungskompetenz wurde von der DFG auf den RFR verlagert und die Fachausschüsse im Juli 1937 kurzerhand durch das REM aufgelöst.
Anders als die ehemaligen Fachausschussmitglieder der DFG gingen die Fachspartenleiter nicht mehr aus einer Wahl der Wissenschaftler hervor, sondern wurden vom Reichserziehungsminister berufen. Bei der Auswahl der Fachspartenleiter, so die Selbstdarstellung, habe man eher auf die fachliche Reputation der Wissenschaftler als auf ihr Bekenntnis zum Nationalsozialismus geschaut, ja man habe sich damit begnügt, „dass die Betreffenden nicht politisch oder rassisch negativ aufgefallen waren“ . Tatsächlich gehörten 15 der 18 zwischen 1937 und 1942 berufenen Fachspartenleiter der NSDAP, der SS oder der SA an, wobei die meisten bereits vor ihrer Ernennung in die Partei oder eine ihrer Gliederungen eingetreten waren (Flachowsky, 2008: 237f).
Tabelle 1: Die Fachspartenleiter des „ersten“ Reichsforschungsrates (1937–1942)
Name | Fachsparte | Institut | Mitgliedschaft in NSDAP, SA, SS |
---|---|---|---|
Im Mai 1937 in den Reichsforschungsrat aufgenommen: | |||
Karl Beurlen | Bodenforschung (Geologie, Geophysik, Mineralogie) | Direktor des Geologisch-Paläontologischen Instituts der Universität Kiel | NSDAP seit 1. 5. 1933; Förderndes Mitglied der SS seit 1931; SA „Wiederaufnahme“ 1. 7. 1939 |
Rudolf Beyschlag | Berg- und Hüttenwesen | Direktor des Instituts für Aufbereitung und Brikettierung, TH Berlin |
NSDAP seit 1.4.1933; SA seit 1933 |
Heinrich Eberts | Forst- und Holzforschung | Leiter der Abteilung I im Reichsforstamt und Leiter der Reichsgemeinschaft für Holzforschung, Berlin |
NSDAP seit 1. 5. 1933 |
Abraham Esau | Physik (Mathematik, Astronomie, Meteorologie); Maschinenbau | Direktor des Physikalischen Instituts der Universität Jena | NSDAP seit 1. 5. 1933 |
Adolf Fry | Eisen und Stahl | Leiter der Abteilung Metallkunde, CTR in Berlin |
NSDAP seit 1937 |
Werner Köster | Nichteisenmetalle | Direktor des KWI für Metallforschung, Stuttgart | NSDAP seit 1. 4. 1940 |
Erwin Marx | Elektrotechnik | Direktor des Instituts für elektrische Messkunde und Hochspannungstechnik, TH Braunschweig |
NSDAP seit 1 .4. 1938; SA seit 1. 11. 1933 |
Konrad Meyer | Landbauwissenschaft und Biologie (Zoologie und Botanik) | Leiter des Forschungsdienstes und Direktor des Instituts für Ackerbau und Landbaupolitik an der Universität Berlin | NSDAP seit 1. 2. 1932; SS seit 20. 6. 1933 |
Wilhelm Richter | Wehrmedizin | Direktor der Universitäts-Hautklinik, Greifswald | NSDAP seit 15. 3. 1933; SA seit 15. 2. 1933 |
Ferdinand Sauerbruch | Allgemeine Medizin | Direktor der chirurgischen Klinik und Poliklinik im Charité-Krankenhaus, Berlin | |
Albert Wolfgang Schmidt | Treibstoffe | Direktor des Instituts für chemische Technologie und des Versuchslaboratoriums für Mineralöle, TH München |
NSDAP seit 1. 5. 1933 |
Peter Adolf Thiessen | Anorganische und allgemeine Chemie | Direktor des KWI für physikalische Chemie und Elektrochemie, Berlin | NSDAP (August 1922) und 21. 4. 1933; SA 1923; Förderndes Mitglied der SS |
Im Oktober 1939 in den Reichsforschungsrat aufgenommen: | |||
Richard Kuhn | Organische Chemie und Biochemie | Direktor des KWI für medizinische Forschung, Heidelberg | |
Kurt Blome | Bevölkerungspolitik, Erbbiologie und Rassenpflege | Stellvertretender Reichsgesundheitsführer, Berlin | NSDAP (1922) und 1. 7. 1931; SA seit 1. 7. 1931 |
Ernst Brandenburg | Verkehrswesen | Leiter der Abteilung Kraftfahr- und Landstraßenwesen im RVM, Berlin | NSDAP seit 1. 5. 1937 (ausgeschlossen am 25. 11. 1939) |
Im Oktober 1940 in den Reichsforschungsrat aufgenommen: | |||
Günter Wolff | Kolonialwissenschaftliche Abteilung | Referent für Landwirtschaft in der DFG und Leiter des Auslandsamtes im Forschungsdienst |
NSDAP seit Mai 1932; SA seit Herbst 1932; SS seit Herbst 1934 |
Im Juni 1941 in den Reichsforschungsrat aufgenommen: | |||
Friedrich Müssemeier | Veterinärmedizin | Direktor der Veterinärabteilung im Reichsgesundheitsamt, Berlin |
|
Im März 1942 in den Reichsforschungsrat aufgenommen: | |||
Paul Ritterbusch | Raumforschung | Kommissarischer Leiter der Reichsarbeitsgemeinschaft für Raumforschung |
NSDAP seit 1. 9. 1932 |
Quelle: Flachowsky, 2008 (Anhang): 40f.
In der zweiten Hälfte des Jahres 1942 stand der Reichsforschungsrat im Mittelpunkt umfassender Reorganisationsbemühungen, verbunden mit dem Ziel, das Innovationspotenzial der natur- und technikwissenschaftlichen Forschung in den Produktionsprozess einfließen zu lassen. Der Reichsforschungsrat war über seine Fachspartenleiter daher in den Arbeitsgemeinschaften des Reichsamtes für Wirtschaftsausbau und des Reichsluftfahrtministeriums involviert (Flachowsky, 2008: 280 ff.).
Dies war ganz im Sinne von Hermann Göring, der im Juli 1942 als wesentlichen und grundsätzlichen Gesichtspunkt der zukünftigen Arbeit des RFR hervorhob, dass die „Forschungsaufträge erteilenden Stellen [...] mehr als bisher bereits in der Auftragserteilung einen Ausgleich herbeiführen“ müssten, „um damit eine Zusammenfassung der an Forschungsaufgaben tätigen Kräfte zu gewährleisten“. Darüber hinaus sei es wichtig, die forschenden Stellen zu einem engeren Erfahrungsaustausch und damit zu stärkerer Zusammenarbeit zusammenzuführen. Es müsse „zudem eine zentrale Stelle vorhanden sein, welche über die Fragen: wer forscht was, wo, wie, in wessen Auftrag und mit welchem Ergebnis, Auskunft geben kann“. Schließlich müsse die Staatsführung „die Möglichkeit haben, sich in die Forschung lenkend und leitend“ einzuschalten, ihr Aufträge zu erteilen, sie auf kriegswichtige Fragen auszurichten und „an der richtigen Stelle die notwendigen Mittel zur Durchführung gestellter Aufgaben bereitzustellen“ (Flachowsky, 2008: 297f.).
Über die institutsübergreifende Zusammensetzung verschiedener Arbeitsgruppen, die neben Wissenschaftlern auch Vertreter anderer staatlicher Ressorts, der Industrie oder militärischer Dienststellen umfassten, wurde der Erfahrungsaustausch zwischen den interessierten Instanzen sichergestellt. Die zwischen den Ressorts bestehenden Reibungsverluste, die etwa durch Doppelarbeit oder Geheimhaltungsauflagen hervorgerufen wurden, wurden so reduziert. In vielen Bereichen kam es zu einer konzentrierten Zusammenfassung der Forschung, vor allem dort, wo es den Fachspartenleitern gelang, in ihren Arbeitsgruppen sowohl die im RFR als auch die bei der Wehrmacht angesiedelte Grundlagenforschung zu bündeln. Viele der vom RFR eingerichteten Projekte bezogen sich auf kriegs- und rüstungswichtige Problemstellungen, etwa die defizitäre Rohstoffversorgung oder die Optimierung von Waffensystemen. Sie bezogen sich aber auch und in starkem Maße auf die deutschen Umvolkungs- und Expansionspläne, wie am Beispiel des „Generalplan Ost“ sichtbar wurde.
Tabelle 2: Die Fachspartenleiter des „zweiten“ Reichsforschungsrates (1942–1945)
Name | Fachsparte | Institut | Mitgliedschaft in NSDAP, SA, SS |
---|---|---|---|
Am 19. Februar 1943 ernannt: | |||
Karl Beurlen | Bodenforschung (Geologie, Geophysik, Mineralogie) | Direktor des Instituts für Paläontologie und Historische Geologie der Universität München |
NSDAP seit 1. 5. 1933; Förderndes Mitglied der SS seit 1931; SA „Wiederaufnahme“ 1. 7. 1939 |
Heinrich Eberts | Forst- und Holzforschung | Leiter der Abteilung I im Reichsforstamt und Leiter der Reichsgemeinschaft für Holzforschung, Berlin |
NSDAP seit 1. 5. 1933 |
Abraham Esau | Physik (Mathematik, Astronomie, Meteorologie) | Präsident der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt, Berlin | NSDAP seit 1. 5. 1933 |
Werner Köster | Nichteisenmetalle | Direktor des KWI für Metallforschung, Stuttgart | NSDAP seit 1. 4. 1940 |
Richard Kuhn | Organische Chemie und Biochemie | Direktor des KWI für medizinische Forschung, Heidelberg | |
Erwin Marx | Elektrotechnik | Direktor des Instituts für elektrische Messkunde und Hochspannungstechnik, TH Braunschweig |
NSDAP seit 1. 4. 1938; SA seit 1. 11. 1933 |
Ferdinand Sauerbruch | Allgemeine Medizin | Direktor der chirurgischen Klinik und Poliklinik im Charité-Krankenhaus, Berlin | |
Peter Adolf Thiessen | Anorganische Chemie und allgemeine Chemie | Direktor des KWI für physikalische Chemie und Elektrochemie, Berlin | NSDAP (August 1922) und 21. 4. 1933; SA 1923; Förderndes Mitglied der SS |
Konrad Meyer | Landbauwissenschaft und Biologie (Zoologie und Botanik) | Leiter des Forschungsdienstes und Direktor des Instituts für Ackerbau und Landbaupolitik an der Universität Berlin | NSDAP seit 1. 2. 1932; SS seit 20. 6. 1933 |
Am 22. Februar 1943 ernannt: | |||
Friedrich Müssemeier | Veterinärmedizin | Direktor der Veterinärabteilung im Reichsgesundheitsamt, Berlin |
|
Am 2. Dezember 1943 ernannt: | |||
Walther Gerlach | Physik (Mathematik, Astronomie, Meteorologie) | Direktor des Physikalischen Instituts der Universität München | |
Am 5. Dezember 1944 ernannt: | |||
Heinz Kiekebusch | Maschinenbau | Direktor des Instituts für Werkzeugmaschinen, TH Dresden |
NSDAP seit 1. Mai 1937 |
Max Paschke | Eisen und Stahl | Rektor der Bergakademie Clausthal und Leiter des dortigen Instituts für Eisenhütten-, Gießerei- und Emaillierwesen; Leiter des Eisenhütteninstituts, TH Berlin |
|
Hermann Weber | Biologie | Zoologisches Institut der Universität Straßburg | NSDAP vor 1933 |
Ludwig Lutz Pistor | Bauwesen (Hoch- und Tiefbau) | Leiter des Staatlichen Materialprüfungsamtes München und Rektor der TH München |
NSDAP seit 1933 |
Im Frühjahr 1945 ernannt: | |||
Wilhelm Süss | Mathematik | Rektor der Universität Freiburg und Direktor des dortigen Mathematischen Instituts |
NSDAP seit 1937; SA seit 1933 |
1944/45 geplant: | |||
Erich Schneider | Wehrtechnik | Chef der Amtsgruppe Wa Prüf des Heereswaffenamtes | |
Wunibald Kamm | Motorenforschung | Direktor des Forschungsinstituts für Kraftfahrwesen und Fahrzeugmotoren, TH Stuttgart |
NSDAP seit 1937 |
Quelle: Flachowsky, 2008 (Anhang): 46ff.
Die Aufgabe einer engen Zusammenarbeit bezog sich insbesondere auf die Bevollmächtigten des RFR,
deren
Ernennung der Gedanke der Schwerpunktbildung innerhalb der Forschung zugrunde lag. Sie waren
dafür
verantwortlich, spezielle Gebiete innerhalb der Forschung zu fördern und zu koordinieren. Mit
ihrer
Ernennung ging einerseits eine grundsätzliche Strukturveränderung und andererseits eine
wesentliche
Aufgabenerweiterung des RFR einher. Die Bevollmächtigten wurden in offensichtlicher Reaktion auf
den
Kriegsverlauf an Eck- und Brennpunkten der Rüstungsforschung eingesetzt, um Probleme mittels
kurzzeitiger Mobilisierung von Ressourcen und Mitteln flexibel lösen zu können. Somit fügte sich
auch
der RFR in das „System von Vorsitzern, Leitern, Bevollmächtigten, Obleuten
und Beauftragten“ ein, denen „analog zum Selbstverantwortungsprinzip in der
Rüstungswirtschaft“ die Organisation der kriegsrelevanten Forschung oblag
(Flachowsky, 2008: 461).
Tabelle 3: Die Bevollmächtigten und Beauftragten des Reichsforschungsrates (1942–1945)
Name | Fachgebiet | Institut |
---|---|---|
Alfred Bentz | Mineralölforschung | Direktor des Instituts für chemische Technologie, TH Braunschweig |
Kurt Blome | Krebsforschung | Direktor des Zentralinstituts für Krebsforschung, Reichsinstitut an der Universität Posen |
Adolf Busemann (geplant) | Aerodynamik | Leiter des Instituts für Gasdynamik an der LFA „Hermann Göring“, Braunschweig |
Hans Crampe | Nahrungsmitteltechnik | Direktor an der Nährmittelfabrik Dr. August Oetker in Bielefeld (Leiter des Berliner Büros) |
Richard-Eugen Dörr | Faserstoff-Forschung | Generaldirektor und Vorstandsvorsitzender der Phrix-Werke A.G. Hamburg |
Abraham Esau | Kernphysik (bis 1. Dez. 1943) | Präsident der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt |
Abraham Esau | Hochfrequenzforschung (ab 2. Dez. 1943) | Präsident der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt |
Walther Gerlach | Kernphysik (ab 2. Dez. 1943) | Direktor des Physikalischen Instituts, Universität München |
Friedrich Gladenbeck | Fernsteuerungstechnik | Direktor bei der AEG (Beauftragter für Fernmeldewesen), Berlin |
Hans Paul Kaufmann | Fettforschung | Direktor des Instituts für Pharmazie und chemische Technologie, Universität Münster |
Heinrich Klein | Waffentechnik | Direktor der Abteilung Ballistik bei der Fa. Rheinmetall Borsig, Berlin |
Johannes N. Plendl | Hochfrequenzforschung (bis 1. Dez. 1943) | Leiter der Abteilung für Funkforschung der DVL und Gruppenleiter für flugtechnische Erprobung der Erprobungsstelle Rechlin |
Hubert Schardin | Ballistik | Direktor des Ballistischen Instituts der technischen Akademie der Luftwaffe, Berlin-Gatow |
Ernst Schmidt | Strahlvortrieb | Institut für Triebwerke der Luftfahrzeuge, TH Braunschweig |
Walther Schreiber | Seuchenforschung | Kommandeur der Lehrgruppe C in der Militärärztlichen Akademie, Berlin |
Otto Schulz-Kampfhenkel | Sonderaufgaben der erdkundlichen Forschung | Leiter des Einsatzkommandos Schulz-Kampfhenkel "OKW / Erkundungsstaffel z.B.V." |
Erich Schumann | Sprengstoffphysik | Direktor des II. Physikalischen Instituts der Universität Berlins |
Erich Siebel | Werkstoffprüfung | Präsident der Staatlichen Materialprüfungsämter in Berlin und Stuttgart |
Richard Vieweg | Kunststoffe | Institut für technische Physik, TH Darmstadt |
Ernst Wagemann | Empirische Wirtschaftsforschung | Leiter des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung |
Albert Wolff | Munitionstechnik | Direktor der Deutschen Waffen- und Munitionswerke, Lübeck-Schlump |
Günther Wolff | Kolonialwissenschaften | Kolonialwissenschaftliche Abteilung des RFR |
Georg Wüst | Marinegeographie | Direktor des Instituts für Meereskunde an der Universität Berlin |
Quelle: Flachowsky, 2008 (Anhang): 51ff
Hinsichtlich der Forschungsförderung operierte der RFR durchaus erfolgreich. Ihm standen ab 1943 im Vergleich zu seinem Vorgänger exorbitant hohe Mittel zur Verfügung (vgl. Text zur Budgetentwicklung). Die Entscheidung über diese Mittel lag wie bisher bei den Fachspartenleitern und Bevollmächtigten des RFR, die gesamte Rechnungs- und Kassenführung dagegen weiterhin bei der DFG, die bis zum Ende des Krieges somit zu einer von mehreren Verwaltungsdienststellen des RFR verkümmerte. Die apparativen und materiellen Bedürfnisse der Forschung wurden über die seit 1939 bestehende Kriegswirtschaftsstelle (KWSt) erfüllt. Um die für die Forschung notwendigen Materialien zu beschaffen, kooperierte die KWSt eng mit den dafür zuständigen Wirtschaftsbehörden und dem Ministerium für Bewaffnung und Munition unter Leitung von Albert Speer. Bis zum Kriegsende entwickelte sie sich zu einer der wichtigsten Dienststellen des RFR, da ihr ab 1943 durch Speer die Möglichkeit eingeräumt wurde, selbstständig die für die Durchführung von Forschungsaufträgen unentbehrlichen Dringlichkeitsstufen zu vergeben. Bei ihren Bemühungen, die Versorgung der Forschung sicherzustellen, war sie auch am Raub von wissenschaftlichen Geräten und Apparaten in den besetzten Gebieten führend beteiligt. Aber nicht nur über die KWSt, sondern auch über seinen Bevollmächtigten Erich Pietsch war der RFR aktiv in solche Beutezüge involviert. Darüber hinaus förderte er auch den Einsatz von ausländischen Wissenschaftlern, die in Konzentrationslagern inhaftiert waren, für die deutsche Rüstungsforschung. Hier wie bei der Beschlagnahmung von Geräten arbeitete der RFR eng mit den Besatzungsbehörden zusammen. Gleichzeitig nutzte die Gruppe um Mentzel ihre Beziehungen zur SS, zum Oberkommando des Heeres, Abteilung Wissenschaft (OKW) und zum Rüstungsministerium, um ihre Zielsetzungen zu erreichen (Flachowsky, 2008: 461).
Flachowsky, Sören, 2008: Von der Notgemeinschaft zum Reichsforschungsrat. Wissenschaftspolitik im Kontext von Autarkie, Aufrüstung und Krieg, Stuttgart.