Im Rahmen einer Anfang der 2000-er Jahre von der DFG geförderten Forschungsgruppe zur DFG-Geschichte der Jahre 1920 bis 1970 wurden vor allem die Jahre zwischen 1933 und 1945 in verschiedenen Teilprojekten aus unterschiedlichster Perspektive beleuchtet. Die am Ende dieses Artikels bereitgestellte Literaturliste führt ausgewählte Studien auf, das Informationssystem GEPRIS gibt einen vollständigen Überblick über die geförderten Vorhaben. In GEPRIS Historisch besteht die Möglichkeit, über einen Zeitfilter gezielt nach Anträgen aus der NS-Zeit zu recherchieren. Mit diesem Text heben wir eine Auswahl an Projekten hervor, die den Bezug DFG-geförderter Forschung zu NS-relevanten Themen schlaglichtartig beleuchten. Wie die Beispiele zeigen, waren alle Wissenschaftsbereiche betroffen.
Die Geistes- und Sozialwissenschaften erlitten in der Zeit des Nationalsozialismus einen Bedeutungsverlust. Nach Berechnungen des Wissenschaftshistorikers Patrick Wagner betrug deren Anteil am Gesamtetat der Notgemeinschaft Ende der 1920er noch 30 Prozent, in der NS-Zeit sank er auf 22 Prozent ab – zugunsten der dem Reichsforschungsrat (RFR) unterstellten „kriegswichtigen“ Fächer in den Bereichen Natur-, Lebens- und Ingenieurwissenschaften (Wagner, 2010b: 349).
In den Ende der 20-er Jahre eingeführten Gemeinschaftsarbeiten, vom damaligen DFG-Präsident Friedrich Schmitt-Ott initiiert, um in größerem Umfang zusätzliche Mittel vor allem für praxisrelevante Forschung und deren Förderung einzuwerben, waren die Geisteswissenschaften unterrepräsentiert, in der Einzelförderung dagegen überproportional aktiv. Die seit den frühen 1920-er Jahren geförderten wissenschaftlichen Großvorhaben wie die Meister-Eckhart-Ausgabe, der Thesaurus Linguae Latinae und die Monumenta Germanica Historiae waren auch für den Nationalsozialismus prestigeträchtige Projekte und wurden daher weitergeführt (Mertens, 2003: 394).
Die Geistes- und Sozialwissenschaften erlebten besonders in den Bereichen einen Aufschwung, die der wissenschaftlichen Legitimierung der NS-Ideologie dienten (Elvert, 2002): Verstärkt förderte die DFG Projekte von Historikern, Soziologen, Sprachwissenschaftlern, Geografen, Volkstumsforschern, die versuchten, die deutschen Besitzansprüche im Ausland wissenschaftlich zu begründen. Ideologisch relevante Bereiche wie die Vor- und Frühgeschichte wurden ebenfalls intensiv von der DFG gefördert (Klee, 2001: 175). Seit Mitte der 1930er setzte sich die DFG für die „Arisierung“ der sprachwissenschaftlichen Fachzeitschriften ein und trug so dazu bei, dass Wissenschaftler, die häufig bereits von ihren Lehrstühlen vertrieben worden waren, endgültig aus dem deutschen Wissenschaftsbetrieb verdrängt wurden (Ehlers, 2010: 369).
Ein Großprojekt, das der wissenschaftlichen Untermauerung und Verbreitung der NS-Ideologie dienen sollte, kam aus den Reihen der Wissenschaftler selbst: An dem „Kriegseinsatz der Geisteswissenschaften“ beteiligten sich ab 1940 etwa 600 Wissenschaftler, um nationalsozialistische Europapläne zu unterlegen. Initiiert und organisiert wurde das Projekt von dem Juristen Paul Ritterbusch. Die Aufgabe dieses Projekts, so Ritterbusch, bestand darin, „die Idee einer neuen europäischen Ordnung, um die es in diesem Kampfe (= Zweiter Weltkrieg) im letzten Grunde geht, in einer wissenschaftlich unanfechtbaren Weise herauszuarbeiten“ (Hausmann, 2007: 59).
Alle bedeutenden Universitäten beteiligten sich mit Elan an dem Projekt. „Wer mitmachte, tat dies selten widerwillig, sondern war bereit, ‚seiner‘ Wissenschaft im Zeichen des NS zu neuer Weltgeltung zu verhelfen. Ehrgeiz, Einfluß und Fördergelder wirkten als verlockende Köder“ – so Hausmann in seiner Studie über „die Aktion Ritterbusch“ (2007: 15). Die Beiträge waren von unterschiedlichem Niveau und reichten von sachlich geprägten Darstellungen bis zu reinen Propagandaschriften. Der Altorientalist Walther Hinz erhielt im Rahmen des Projekts von der DFG etwa Reisemittel zur „Fortsetzung der Arbeiten zur Geschichte und Kultur der arischen Epoche Irans“. Und Joseph Vogt wies mit seinem Beitrag „Raumauffassung und Raumordnung in der römischen Politik“ auf das von ihm bewunderte Vorbild der kolonisationsfreudigen Römer hin. Die Forschungen setzten, dem Verlauf des Krieges folgend, unterschiedliche Akzente: Bis zum Einmarsch in die Sowjetunion 1941 leisteten vor allem Anglisten, Romanisten, Historiker und Völkerrechtler einen Beitrag zur Abgrenzung Deutschlands vom Westeuropa. In der zweiten Phase ab 1941 verlagerte sich der Schwerpunkt. Vor allem Geografen sollten die „Lebensraumfragen des deutschen Volkes, die kolonialen Ergänzungsräume Europas“ einbeziehen – so Ritterbusch in seinem einleitenden Beitrag zum ersten Projektband der Geografen (Hausmann, 2007: 136f.). Als Ergebnis sind 67 Bücher und 43 Monografien erschienen. Die DFG finanzierte die Verlagskosten, Tagungen und Ausstellungen sowie circa 50 Einzelförderungen (Hausmann, 2007: 96).
Das Ahnenerbe gab monatlich die Zeitschrift „Germanien“ heraus, hier das Deckblatt einer Ausgabe von 1939.
Quelle: BArch NSD 41/80.
Eine zentrale Forschungseinrichtung im Bereich der Geisteswissenschaften ist das von der SS gegründete Forschungsinstitut „Forschungsgemeinschaft Deutsches Ahnenerbe“. Es führte archäologische, anthropologische und geschichtliche Forschungen und Expeditionen durch, die Untersuchungen dienten primär dem Ziel, die NS-Rassenideologie der „Arischen Herrenrasse“ wissenschaftlich zu untermauern. Mit der Monatszeitschrift „Germanien“ wurden ausgewählte Befunde „zur Erkenntnis deutschen Wesens“ populärwissenschaftlich aufbereitet und so quasi „unters Volk gebracht“. Wurde der Verein zunächst vom Reichsnährstand getragen, übernahm 1936 die DFG den Großteil der Finanzierung, Mittel aus dem SS-Etat sowie Spendengelder rundeten das Budget ab (vgl. Bundesarchiv). Formal geleitet wurde das Ahnenerbe von Heinrich Himmler, der in den Quellen von GEPRIS Historisch auch häufig als Antragsteller geführt wird. Seit März 1942 bestand die auch als SS-Ahnenerbe bezeichnete Gemeinschaft parallel als Amt A innerhalb des „Hauptamtes Persönlicher Stab Reichsführer-SS“. Als Amtschef eingesetzt war der Ahnenerbe-Kurator Walther Wüst, stellvertretender Amtschef war Ahnenerbe-Reichsgeschäftsführer Wolfram Sievers. Beide übten großen Einfluss auf die programmatische Ausrichtung des Instituts aus (Kater, 1997).
GEPRIS Historisch weist insgesamt 61 Anträge des Ahnenerbes nach. Neben verschiedenen Ausgrabungen germanischer Kultstätten, Studien zur „Sinnbildforschung“ oder der Arbeit an einem größeren Forschungswerk „Wald und Baum in der arisch-germanischen Geistes- und Kulturgeschichte“, an denen vor allem Geisteswissenschaftler beteiligt waren, betrieb das Ahnenerbe auch ein „Institut für wehrwissenschaftliche Zweckforschung“. Dort wurden medizinische Menschenversuche in Konzentrationslagern durchgeführt (vgl. Abschnitt „Medizinische Forschung“).
Bei dem „Generalplan Ost“ handelt es sich um eine Reihe von Konzeptionen für die rechtliche, wirtschaftliche und räumliche Neuordnung der von Deutschland besetzten Gebiete, die vom Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums (RKF) sowie vom Reichssicherheitshauptamt (RSHA) ausgearbeitet wurden. Die Federführung lag bei Konrad Meyer als Leiter des Planungsamts des RKF. Nur sein Entwurf vom Juni 1942, der „Generalplan Ost. Rechtliche, wirtschaftliche und räumliche Grundlagen des Ostaufbaus“ ist vollständig überliefert. Programmatisch äußert sich Meyer mit dem folgenden, 1941 veröffentlichten Zitat.
„Unsere Planung kann auch auf die wissenschaftliche Mitarbeit und die dauernde engste Verbindung mit den Hochschulen nicht verzichten. Ich meine dabei allerdings eine Wissenschaft, die ihren Lebenssinn im Dienste am Volk und in der Hinwendung zu den Kräften des Blutes und des Bodens erblickt. Wir brauchen für die Planung eine Wissenschaftshaltung, die nicht so sehr nach abstrahierender Verallgemeinerung ihrer Erkenntnisse strebt als nach konkreter Situationsverbundenheit ihrer Ergebnisse; eine Wissenschaft, die auch nicht immer nur rückwärts gerichtet das Geschehene registriert, sondern vorausschauend und konstruktiv am künftigen Geschehen mitwirkt. […] Gerade in der tätigen Mitwirkung der Hochschule bei der Siedlungsplanung vollendet sich die politische Bestimmung unserer Wissenschaft.“
Quelle: 1941 von Konrad Meyer verfasster Artikel über „Planung und Ostaufbau“ in der Zeitschrift Raumforschung und Raumordnung, 5. Jg (1941), H. 9, S. 392-397 (Madajczyk, 1994: 399).
Der „Generalplan Ost“ umfasste Umsiedlungsaktionen für den gesamten von der Wehrmacht eingenommenen Raum der Sowjetunion – Russland, Ukraine, Belarus, baltische Staaten. Um 1000 Kilometer sollte die sogenannte Volkstumsgrenze durch germanische Neusiedlung nach Osten verschoben werden. Die neu zu erschaffende Bevölkerungsordnung sah die Deportation und teilweise Ausrottung von 30 bis 40 Millionen „rassisch unerwünschten“ Menschen aus den zu kolonisierenden Gebieten vor. Es war ferner ein Siedlungswerk vorgesehen, an dem einige Millionen Deutsche oder Menschen „germanischer“ Abstammung sowie Angehörige anderer germanischer Nationen beteiligt sein sollten. Schließlich ging es um den massenhaften Einsatz für Zwangsarbeit; dies betraf mindestens 14 Millionen Slaven, die in ihrer Heimat bleiben und nicht germanisiert werden sollten (Madajczyk, 1994).
Der „Generalplan Ost“ setzte die Vernichtung der unerwünschten Bevölkerung stillschweigend voraus. Er kalkulierte die Abwesenheit mehrerer Millionen Menschen schlichtweg als feste Größe ein. Das weitere Schicksal der „evakuierten“ Juden, polnischer und russischer Kriegsgefangener oder der Einwohner der seit 1941 belagerten Stadt Leningrads wurde im Plan nicht explizit erwähnt; sie wurden einfach aus der Statistik herausgerechnet (Heinemann, 2006: 52 und Aly/Heim, 2019: 385ff.).
Die Planungsentwürfe Meyers waren eine „riesige Kostenkalkulation“ (Madjczyk, 1994: XIII), bei der es darum ging, die Planansätze mit den zur Verfügung stehenden finanziellen Mitteln in Einklang zu bringen. Wissenschaftler verschiedener Fachrichtungen lieferten dafür die nötige Expertise. In seiner Funktion als Planungschef des RKF beantragte Meyer bei der DFG zwischen 1941 und 1945 mehr als eine halbe Million Reichsmark, die unmittelbar in Begleitforschungen zu den Siedlungsplänen floss. Dieses Geld stockte das im Vergleich zu anderen Fachsparten sowieso schon sehr hohe Budget der Fachsparte Landwirtschaft zusätzlich auf (Flachowsky, 2008: 329). Die eine Hälfte der Mittel erhielt Meyer zur freien Verfügung, die andere Hälfte konnte über Einzelanträge abgerufen werden, die er als Fachspartenleiter ohne Einholen von Gutachtern selbstständig zur Bewilligung vorschlagen konnte. Die abschließende Entscheidung traf DFG-Präsident Mentzel meist schnell und unbürokratisch (Heinemann, 2006: 61). Die Forschungsmittel konnte Meyer also beliebig einsetzen, und so wundert es nicht, dass circa die Hälfte der Fördergelder für Mitarbeiter seiner Planungsabteilung genutzt wurde und ein Großteil der anderen Hälfte in sein Berliner Institut für Agrarwesen und Agrarpolitik floss.
In GEPRIS Historisch sind insgesamt 73 Anträge recherchierbar, die von der DFG in den Jahren 1940 bis 1945 mit Bezug zum „Generalplan Ost“ gefördert wurden. Die Zuordnung erfolgte auf Basis einer Studie von Isabel Heinemann (Heinemann, 2006: 58ff.), ergänzt um Fälle, in denen sich den GEPRIS Historisch zugrunde liegenden Quellen entsprechende Hinweise entnehmen ließen.
Der im Stabshauptamt des RKF tätige Architekt und Städteplaner Josef Umlauf befasste sich etwa mit „Untersuchungen über den künftigen Siedlungsaufbau im Osten“. Das Thema des ebendort tätigen Verwaltungsjuristen Erhard Mäding war „Statistische und verwaltungsrechtliche Untersuchungen über die Gliederung der Ostgebiete“, ihn beschäftigte darüber hinaus die Frage der „Festigung deutschen Volkstums als landschaftskulturelles Problem“. Der Psychologe Robert Beck (Universität Berlin) wurde 1939 mit einer Reisebeihilfe für „Untersuchungen auf dem Gebiet der Umvolkung im jetzt deutschen Bereich Oberschlesiens“ gefördert. In seiner ein Jahr zuvor veröffentlichten Dissertation hatte er mit dem „Schwebenden Volkstum im Gesinnungswandel“ einen Schlüsselbegriff geprägt, den fortan Volksforscher verschiedener Disziplinen in breitem Umfang rezipierten (Pinwinkler, 2014: 55).
Der hauptberuflich im landwirtschaftlichen „Forschungsdienst“ (ebenfalls unter der Leitung von Konrad Meyer) tätige und während des Krieges als RKF-Planer eingesetzte Agrarwissenschaftler Arthur von Machui erhielt insgesamt sechs Sachbeihilfen, unter anderem für eine Studie zu „Volksbiologische(n) und volksgemeinschaftliche(n) Voraussetzungen des ländlichen Aufbaus im neuen deutschen Osten“ sowie für eine „Materialzusammenstellung für die kulturelle Schulung der Umsiedlerdörfer in den neuen Ostgebieten“. Felix Boesler, Wirtschaftswissenschaftler an der Universität Jena, erhielt für seine „planungswissenschaftlichen Arbeiten zur Festigung des deutschen Volkstums“, die sich insbesondere auf Finanz- und Steuerfragen konzentrierten, ebenfalls in größerem Umfang DFG-Mittel (Aly/Heim, 2013: 379). Schließlich nutzte besonders der Raumplanungstheoretiker Franz Doubek die sich ihm bietenden neuen Forschungsräume aus, um erfolgreich DFG-Mittel für Projekte wie „Auswertung kartographischer Unterlagen der dem Reich eingegliederten und besetzten Gebiete“, „Raumpolitische Untersuchungen im Bereich des Generalgouvernements und der Reichskommissariate Ostland und Ukraine“ sowie „Die Volkstums- und Wirtschaftsverhältnisse im Ostraum (ehemaliges europäisches Russland)“ einzuwerben (Heinemann, 2006: 59f.).
Eröffnungstag der Ausstellung
„Planung und Aufbau im Osten“,
20.3.1941.
V.l.n.r.: Hess, Himmler, Bormann
und Meyer (verdeckt).
Quelle: Bundesarchiv, R 49 Bild-0022 / CC-BY-SA 3.0, Bundesarchiv R 49
Bild-0022, Berlin,
Ausstellung „Planung und Aufbau im Osten“
CC BY-SA 3.0 DE.
Darüber hinaus stellte das NS-Regime die nötige Infrastruktur zu besseren Vernetzung der Wissenschaftler zur Verfügung: Die 1935 gegründete „Reichsarbeitsgemeinschaft für Raumforschung“, die von 1935 bis 1939 ebenfalls unter Leitung von Meyer stand (seine Nachfolger waren Paul Ritterbusch und Kurt Brüning), und die ihr untergliederten Hochschularbeitsgemeinschaften als „Zusammenschluss aller sich mit Raumforschung beschäftigenden wissenschaftlichen Kräfte“ dienten der Ausrichtung jedes einzelnen Wissenschaftlers in einer Forschungsgruppe auf nationalsozialistische Zielsetzungen (Rössler, 1987: 181). Auch die Reichsarbeitsgemeinschaft erhielt einen eigenen Etat vom RFR aus dem sie die Forschungsprojekte, ihrer Mitglieder finanzierte.
Die DFG widmete der Aufarbeitung des „Generalplan Ost“ eine Ausstellung, die im Rahmen des eingangs erwähnten Forschungsprojekts zur Geschichte der DFG entstand. Sie wurde ab 2006 in mehr als 20 deutschen Städten gezeigt, hauptsächlich an den großen Universitäten, aber auch in den KZ-Gedenkstätten Bergen-Belsen und Mittelbau-Dora. Auf Einladung und in Kooperation mit der Polnischen Akademie der Wissenschaften (PAN) und in Zusammenarbeit mit dem Institut für das Nationale Gedenken (IPN), Warschau folgte 2013 eine Ausstellungsreihe an ausgewählten polnischen Orten.
Der „Generalplan Ost“ zeigt, wie selbstverständlich es für NS-Behörden und Wissenschaftler war, Menschen zu vertreiben und zu ermorden, weil sie, der NS-Ideologie und oft auch ihrer eigenen Einstellung folgend, „rassisch unerwünscht“ waren. Sie wurden nicht als Menschen, sondern als Material angesehen, das es zu versetzen oder auch: zu beseitigen galt.
Diese entmenschlichte Sicht prägte auch die medizinische Forschung jener Zeit. Ernst Klee weist in seiner Studie zur Medizin im Dritten Reich anhand vieler Einzelfälle nach, „wie wenig ärztlich postulierte Ethik hemmt, wenn die Versuchsobjekte erst einmal aus der Wertegemeinschaft herausdefiniert sind“ (Klee, 2001: 137). Polen, Russen, „Zigeuner“, Juden, Geisteskranke und Behinderte wurden zu Menschenversuchen missbraucht und vielfach ihre anschließende Tötung in Kauf genommen oder angeordnet.
Neben der ideologischen Begründung spielten auch wissenschaftliche Motive eine Rolle: Menschenversuche schienen der einfachste und präziseste Weg, bestimmte Forschungsfragen – etwa nach der Wirksamkeit bestimmter Medikamente – zu lösen. In den Augen mancher Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler waren bestimmte Inhaftierte oder Patienten keine Menschen mehr, sondern „Versuchsmaterial“, das nun leichter zur Verfügung stand. Die Menschenversuche wurden in Kriegsgefangenenlagern, Konzentrationslagern, Heilanstalten und Forschungsinstituten durchgeführt, finanziert durch die Wehrmacht, die Forschungsgemeinschaft Deutsches Ahnenerbe und auch durch die DFG beziehungsweise durch den Reichsforschungsrat.
Die DFG förderte eine Reihe von Projekten, in denen Versuche an Kriegsgefangenen vorgenommen wurden. So finanzierte sie „Anthropologische Untersuchungen an russischen Kriegsgefangenen“ des an der Universität Berlin, Institut für Rassenbiologie tätigen österreichischen Anthropologen Wolfgang Abel. Auch Hans Kummerlöwe, von Haus aus Ornithologe und in dieser Funktion am Naturhistorischen Museum in Wien tätig, wandte sich 1940 an den RFR, um eine Sachbeihilfe für „anthropologische Erhebungen an polnischen Kriegsgefangenen“ finanzieren zu lassen. Der Kommentar zum Antrag hält fest: „Gleichzeitig hatte Kummerlöwe beantragt, Suchgrabungen auf dem Teufelsjoch, südlich von Bruck an der Leitha durchzuführen, da man dort eine vorgeschichtliche Gräberstätte entdeckt hatte. Kummerlöwe bat um die Genehmigung, bei diesen Grabungen auf einige Kriegsgefangene zurückgreifen zu dürfen“. Weiter geht aus der Akte hervor, dass Kummerlöwe plante, das Vorhaben später noch auszuweiten, „nachdem im Lager Kaisersteinbruch rund 30.000 Kriegsgefangene der verschiedensten Völker, Rassen und Farben eingetroffen sind […]. Ich bitte zu beachten, dass es sich hierbei nicht um normale Arbeitsvorhaben, sondern um eine einmalige günstige Gelegenheit für die hiesigen Anthropologen und, im ganzen gesehen, auch für die deutsche Wissenschaft handelt“ (Vermerk in Akte BABL R73/14290). Zu diesem Vorschlag findet sich in der Akte jedoch keine Antwort der DFG.
Die deutsche Malariaforschung, seit 1933 als kriegswichtig eingestuft, fand ihren grausamen Höhepunkt in den Experimenten der Tropenmediziner Gerhard Rose und Claus Schilling vom Robert-Koch-Institut für Infektionskrankheiten in Berlin (Eckart, 2010: 224). Beide führten mit Mitteln der DFG Mückeninfektionen an Patientinnen und Patienten verschiedener Heilanstalten in Deutschland durch, zunächst 1942 in der Nervenheilanstalt Arnsdorf, wegen „Mangel geeigneter Patienten“ später in der Landesanstalt Görden. Der schon emeritierte Schilling führte 1944 an 1.000 Häftlingen im KZ Dachau (und dort zynischerweise auf der sogenannten Malariastation) Versuche durch, indem er Probanden infizierten Stechmücken aussetzte beziehungsweise ein Extrakt aus deren Speicheldrüsen einspritzen ließ, um einen Impfstoff gegen die Malaria zu entwickeln. Für diese Versuche mit dem Titel „Untersuchungen über die Infektion mit einzelnen Parasiten der Vogel-Malaria“ erhielt er am 15. Mai 1944 vom RFR „Mittel zur Bereitstellung eines Mikromanipulators“ als persönliche Leihgabe aus dem Apparatebestand der DFG.
Ebenfalls im KZ Dachau führte die Luftwaffe Kälteversuche mit Häftlingen durch. GEPRIS Historisch weist etwa das Projekt eines der größten Medizinverbrecher der NS-Zeit, Sigmund Rascher, nach, das dieser unter dem Dach der bereits erwähnten „Forschungsgemeinschaft Ahnenerbe“ durchführte. Finanziert als Forschungsauftrag war dessen Gegenstand „Wiedererwärmung bei allgemeiner Abkühlung des menschlichen Körpers, Heilung bei teilweisen Erfrierungen, Kälteanpassung des menschlichen Körpers“. Unterstützt durch den KZ-Arzt Ernst Holzlöhner wurden bei diesen Versuchen ca. 300 Häftlinge in Eiswasser gelegt, um zu berechnen, wie lange abgeschossene Piloten im Meerwasser überleben können. Diese Kälteversuche wurden von der DFG durch den Fachspartenleiter für Krebsforschung und stellvertretendem Reichsärzteführer Kurt Blome bewilligt (Deichmann, 1995: 227).
Dokumentiert sind weiterhin Senfgasversuche an Häftlingen des KZ Natzweiler, an denen sich der Reichsforschungsrat durch Finanzierung des von August Hirt (Universität Straßburg) durchgeführten Projekts „Verhalten von Gelbkreuz (Lost) im lebenden Organismus“ beteiligte. Gemeinsam mit seinem langjährigen Assistenten Karl Wimmer bearbeitete Hirt in Natzweiler auch das Projekt „Veränderungen des lebenden Organismus bei Einwirkung von Kampfstoffen als Grundlage für die Verhinderung von Schäden durch prophylaktische Anwendung bestimmter Wirkstoffe“ (Deichmann, 1995: 227f.).
In der Fachsparte Bevölkerungspolitik förderte der RFR Arbeiten der Rassenhygienischen und kriminalbiologischen Forschungsstelle unter Robert Ritter, der während des Kriegs an der Erfassung der zu deportierenden „Zigeuner“ beteiligt war (Cottebrune, 2008: 170). In den Projekten ging es etwa um die Frage der Erblichkeit von „asozialem“ Verhalten, um sogenannte Psychopathie sowie um die Stammbaumanalyse und vermeintlich vererbte „asoziale“ Eigenschaften bei Sinti und Roma (Weber, 2000: 119). Auch übernahm der RFR die Gehälter für wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der am Kaiserin-Auguste-Viktoria-Haus in Berlin neu errichteten Poliklinik für Erb- und Rassenpflege, die unter anderem erbbiologische Gutachten auf Veranlassungen verschiedener Erbgesundheitsgerichte erstellte, die die Zwangssterilisierungen legitimieren sollten (Weber, 2000: 170). Auch dort angesiedelte Forschungsprojekte, etwa von Eduard Schütt, setzten sich mit sogenannten Asozialen auseinander, etwa mit „Sippen schwerer Psychopathen“ (bearbeitet durch den DFG-geförderten Stipendiaten Herwig Plachetzky) oder anderer „asozialer Familien“.
Der Mediziner Karl Brandt bei der Urteilsverkündung im Nürnberger Ärzteprozess (August 1947).
Quelle: U.S. Federal Government, Public Domain.
Unter den DFG-Geförderten findet sich auch Karl Brandt, Generalkommissar des „Führers“ für das Santitäts- und Gesundheitswesen und einer der ranghöchsten Angeklagten im Nürnberger Ärzteprozess, wo er am 20. August 1947 zum Tode durch den Strang verurteilt wurde. Brandt förderte die oben beschriebenen Malaria-Versuche in Konzentrationslagern, er war weiterhin hauptverantwortlich für die Aktion T4, in deren Rahmen die systematische Ermordung von mehr als 70.000 Menschen mit körperlichen, geistigen und seelischen Behinderungen erfolgte.
Zu den bekanntesten und bei der DFG sehr aktiven Rassenforschern – GEPRIS Historisch dokumentiert insgesamt über 40 Anträge – zählte der in jenen Jahren an der Universität Frankfurt sowie am Berliner Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik tätige Genetiker Otmar von Verschuer. In seinen Zwischenberichten an die Deutsche Forschungsgemeinschaft aus den Jahren 1943 und 1944, die das Projekt mit dem Titel „Spezifische Eiweißkörper“ betreffen, berichtete er offen darüber, dass er für seine Experimente notwendige Blutproben von Gefangenen des Konzentrationslagers Auschwitz erhielt – bereitgestellt durch seinen Doktoranden und langjährigen Assistenten Josef Mengele, der als KZ-Arzt wie kein anderer zur weltweiten Symbolfigur menschenverachtender NS-Medizin wurde.
Gedenktafel am Gebäude des ehemaligen Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie- menschliche Erblehre und Eugenik, Verschuer wird als Täter benannt.
Quelle: User:Torinberl, Freie Universitaet Berlin - Otto-Suhr-Institut - Gedenktafel - Kaiser-Wilhelm-Institut fuer Anthropologie-menschliche Erblehre und Eugenik, CC BY-SA 3.0
An die Verbrechen Verschuers und den Beitrag, den die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft wie auch die DFG hierzu leisteten, erinnern heute eine Gedenktafel am ehemaligen Berliner Institut von Verschuer (vgl. Abbildung) sowie ein im September 2006 eingeweihtes Mahnmal vor dem Hauptgebäude der DFG-Geschäftsstelle.
Otto Hahn,
Direktor des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Chemie, und seinem Assistenten
Fritz Straßmann
gelang im Winter 1938/39 der folgenschwere Nachweis der neutroneninduzierten Spaltung
des Urans, bei der eine große Menge Energie freigesetzt wird. Bedeutsam war dies deshalb, weil
im Anschluss an die Veröffentlichung dieses Forschungsergebnisses die Fachwelt weltweit begann,
neben der zivilen Nutzung der Energiegewinnung auch das militärische Anwendungspotenzial zu
untersuchen (Walker, 1990a: 29f.).
In Deutschland nahm das Uranprojekt 1939 seinen Anfang.
Werner Heisenberg
legte im Dezember
dieses Jahres einen Bericht vor, der die Nutzung der Uranspaltung für Zwecke der
Energiegewinnung beschrieb, er sah aber auch die Möglichkeit einer Bombe, deren Kraft die
„bisher stärksten Explosivstoffe um mehrere Zehnerpotenzen“ übertreffe (vgl. Dokument im
Faksimile (Deutsches Museum)).
Abraham Esau, Präsident der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt und beim RFR zugleich Fachspartenleiter für Physik sowie 1942 bis 1943 Bevollmächtigter für kernphysikalische Forschung, organisierte im April 1939 die erste Sitzung der „Arbeitsgemeinschaft für Kernphysik“ (informell: „Uranverein“ ) – der Fokus lag zunächst klar auf Fragen der friedlichen Nutzung der Kernenergie. Im Dezember 1943 wurde Esau durch Walther Gerlach als Bevollmächtigten für kernphysikalische Forschung und darüber hinaus in seiner Funktion als Fachspartenleiter Physik abgelöst. Für diesen Amtswechsel quasi „entschädigt“ wurde er mit der Berufung zum Bevollmächtigten für Hochfrequenztechnik.
Das Potenzial der Uranforschung auch für militärische Zwecke wurde früh erkannt, mehrere Wissenschaftler wiesen das Heereswaffenamt (HWA) wie auch das für Forschung und Bildung zuständige Reichserziehungsministerium (REM) auf entsprechende Nutzungsmöglichkeiten hin. REM und HWA gründeten daraufhin jeweils eigene Arbeitsgemeinschaften für Physik, die Gesamtleitung lag beim HWA. Es verpflichtete mehrere Dutzend Wissenschaftler für die Mitarbeit an dem Vorhaben, das in Berlin ansässige KWI für Physik wurde vom Oberkommando des Heeres zur zentralen Forschungsstelle erklärt (Walker, 1990b: 46). An den nun mit größter Geheimhaltungsstufe klassifizierten Forschungen waren nach einer Übersicht des MPG-Archivs Berlin zu dem Projekt circa 100 Wissenschaftler aus mehr als 20 Instituten beteiligt, darunter 15 Universitäten und Fachhochschulen.
Die Universitäten zeigten eine hohe Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit dem Militär, die sich mit Kriegseintritt 1939 und nach dem Überfall auf die Sowjetunion nochmals steigerte. Die Forschungen wurden zumeist auf Anweisung in Form von „Forschungsaufträgen“ durchgeführt, die vom Heereswaffenamt selbst oder vom RFR direkt an die Wissenschaftler erteilt wurden (Nagel, 2012: 166f.).
Das Uranprojekt ist als solches nicht direkt in GEPRIS Historisch recherchierbar. Allerdings finden sich immerhin knapp 50 Anträge, bei denen aus den herangezogenen Quellen hervorgeht, dass sie in den Kriegsjahren 1943 bis 1945 innerhalb des der Fachsparte Physik zugeordneten Fachgebiets „Kernphysik“ bearbeitet wurden. Gefördert wurden Arbeiten mehrerer Forscher am Pariser Zyklotron (einer der ersten, bereits 1930 entwickelten Teilchenbeschleuniger), der Physiker Leonhard Grebe erhielt 1943 RFR-Mittel für den Ausbau des von ihm entwickelten ersten deutschen Zyklotrons (1937 bis 1942). Andere Projekte beschäftigen sich mit sogenannten Elektronenschleudern, oder weisen wenig spezifische Titel wie „Kernphysikalische Untersuchungen“ auf. Auch die drei bekanntesten Atomforscher jener Zeit, Werner Heisenberg, Carl Friedrich von Weizsäcker und Otto Hahn, sind mit einzelnen Nachweisen vertreten. Eine RFR-Karteikarte des „Antragstellers“ Abraham Esau macht im April 1943 allerdings auch unmissverständlich klar, wofür der hier vermerkte Globaletat, der Esau als Bevollmächtigtem für die Kernphysik zur Verfügung gestellt wurde, um die Mittel an andere Wissenschaftler zu verteilen, in erster Linie gedacht war, nämlich für „Kriegsentscheidende Aufgaben auf dem Gebiet der Kernphysik“.
Im Winter 1941/42 geriet die deutsche Kriegswirtschaft nach dem belastenden Russlandfeldzug und dem Kriegseintritt der USA zunehmend unter Druck. Das Heereswaffenamt musste eine Neueinschätzung des Uranprojekts vornehmen. Auf Wissenschaftskonferenzen in der Geschäftsstelle des Reichsforschungsrats und im Harnack-Haus der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Februar 1942 kamen die Atomphysiker als auch das HWA zu dem Schluss, dass die Ausnutzung der Kernenergie zur Herstellung von Kernsprengstoffen zwar möglich, aber in nächster Zeit – vor allem vor dem Hintergrund knapper Kriegsressourcen – nicht zu erwarten sei (Walker, 1990b: 53). Dementsprechend wurde Hitler im Juni 1942 auch nur kurz von Rüstungsminister Speer über das Projekt informiert (Irving, 1967: 110). Die seit 1943 zunehmenden Luftangriffe behinderten die Materialverteilung und machten wissenschaftliche Forschung vor allem in den KW-Instituten in Berlin fast unmöglich. Zudem musste der Münchner Experimentalphysiker Walter Gerlach, der ab 1944 seinen Kollegen Abraham Esau als Fachspartenleiter ablöste, die Zahl seiner Arbeitsgruppen ab 1945 drastisch reduzieren (Flachowsky, 2008: 409). Das KWI für Physik setzte seine Versuche zunächst in einem eigens dafür gebauten Bunker fort, bis es 1944 komplett nach Hechingen und Haigerloch zog. Dort konnte der in einem Felsenkeller aufgebaute Forschungsreaktor mit 1,5 Tonnen Uran und der gleichen Menge an schwerem Wasser in Betrieb genommen werden, doch die Materialien reichten nicht aus, um eine selbsterhaltende nukleare Kettenreaktion in dem Reaktor zu erzeugen.
Demontage des Uranreaktors unter der Schlosskirche Haigerloch durch Einsatzkräfte der „ALSOS-Mission“.
Quelle: Sergeant Malcolm (Mickey) Thurgood, U. S. Army photographer
Public Domain.
Die amerikanische militärische „ALSOS-Mission“ mit dem Ziel, den Stand des deutschen Uranprojekts zu erkunden, die Forschungen zu unterbinden und der Kernphysiker habhaft zu werden, erreichte am 23. April 1945 Haigerloch. Der Reaktor wurde zerstört, Materialien und Dokumente in die USA überführt und die deutschen Wissenschaftler verhaftet. Im Rahmen der britischen Operation „Epsilon“ wurden anschließend zehn Wissenschaftler, die führend am Uranprojekt beteiligt waren, auf dem englischen Landsitz Farm Hall für ein halbes Jahr interniert, wo ihre Gespräche abgehört und protokolliert wurden. Die folgende Infobox zitiert aus diesen Protokollen.
Die folgenden Aufzeichnungen zeigen die Reaktionen der Forscher auf die Nachricht vom amerikanischen Atombombenabwurf auf Hiroshima:
„HEISENBERG: Ich glaube kein Wort von der ganzen Sache. Sie müssen ihre ganzen 500000000 Pfund Sterling für die Isotopentrennung ausgegeben haben; dann ist es möglich.
[…]
HAHN: Ich hätte nicht gedacht, daß es in den nächsten zwanzig Jahren möglich sein würde.
WEIZSÄCKER: Ich glaube nicht, daß es was mit Uran zu tun hat. [...]
DIEBNER: Wir haben immer geglaubt, wir würden zwei Jahre für eine Bombe brauchen.
HAHN: Wenn sie sie wirklich haben, dann waren sie sehr geschickt, es geheimzuhalten.
WIRTZ: Ich bin froh, daß wir sie nicht hatten.
[…]
KORSCHING: Das beweist jedenfalls, daß die Amerikaner zu wirklicher Zusammenarbeit in ungeheurem Ausmaß fähig sind. In Deutschland wäre das unmöglich gewesen. Jeder behauptete, der andere sei inkompetent.
GERLACH: Sie können das wirklich so nicht sagen, was die Urangruppe betrifft. Sie können sich keine größere Zusammenarbeit, kein größeres Vertrauen vorstellen, als es in dieser Gruppe herrschte. Man kann einfach nicht sagen, daß einer von ihnen behauptet hätte, der andere sei inkompetent.
[…]
HEISENBERG: Die Beziehungen zwischen Wissenschaftlern und Staat waren in Deutschland derart, daß wir einerseits nicht hundertprozentig dazu entschlossen waren und daß andererseits der Staat uns so wenig Vertrauen entgegenbrachte. Selbst wenn wir gewollt hätten, wäre es nicht leicht gewesen, die Sache durchzukriegen.
DIEBNER: Weil die offiziellen Leute nur an Sofortergebnissen interessiert waren. Sie wollten nicht auf einer langfristigen Basis arbeiten, wie es Amerika gemacht hat.
WEIZSÄCKER: Selbst wenn wir alles bekommen hätten, was wir wollten, ist es keinesfalls sicher, ob wir so weit gekommen wären, wie die Amerikaner und die Engländer jetzt gekommen sind. Es geht nicht darum, daß wir fast so weit wie sie waren, vielmehr ist es eine Tatsache, daß wir alle davon überzeugt waren, daß die Sache während des Krieges nicht zu Ende gebracht werden konnte.
[…]
GERLACH: […] Ich habe das nur getan, weil ich mir sagte, das ist eine deutsche Angelegenheit, und wir müssen zusehen, daß die deutsche Physik erhalten bleibt. Keinen Augenblick dachte ich an eine Bombe, aber ich habe mir gesagt: «Wenn Hahn diese Entdeckung gemacht hat, dann wollen wir wenigstens die ersten sein, die von ihr Gebrauch machen.»
[…]
HARTECK: All die Wissenschaftler, die nichts davon verstanden, sprachen sich dagegen aus, und von denen, die nun wirklich was davon verstanden, sprach sich ein Drittel dagegen aus. Da 90 Prozent nichts davon verstanden, sprachen sich 90 Prozent dagegen aus. Wir wußten, daß die Sache im Prinzip zu machen war, aber auf der anderen Seite erkannten wir auch, daß es sich um eine furchtbar gefährliche Sache handelte.
BAGGE: Wenn die Deutschen 10 Milliarden Mark dafür aufgewendet hätten und die Sache wäre nicht gelungen, hätte man allen Physikern den Kopf abgeschlagen.“
Quelle: Deutsche Geschichte in Dokumenten und Bildern. Band 7. Deutschland unter der Herrschaft des Nationalsozialismus. 1933–1945. Heimlich aufgezeichnete Unterhaltungen deutscher Kernphysiker auf Farm Hall (6./7. August 1945).
Charakteristisch für das Verhältnis von Staat zu Wissenschaft in der NS-Zeit war, dass „Wissenschaftler genauso gut Ressourcen aus der politischen Sphäre für ihre Zwecke mobilisierten, wie Politiker die Wissenschaftler und ihre Ressourcen für ihre Zwecke“ benutzten. (Ash, 2002: 33). Nach der Gleichschaltung und Vertreibung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern engagierte sich die in Deutschland verbliebene große Mehrheit der deutschen Wissenschaftler aus freien Stücken für das NS-Regime. Weder wurden sie „gleichgeschaltet“ noch – wie oft behauptet – „missbraucht“.
Der Staat nutzte die Wissenschaft zur Unterfütterung der NS-Ideologie und auch zur Umsetzung seiner Ziele, wie der „Generalplan Ost“ als Verbindung zwischen wissenschaftlicher Forschung und nationalsozialistischer Rassen- und Expansionspolitik zeigt. Das NS-Regime errichtete eigene Forschungsinstitute wie die „Forschungsgemeinschaft Ahnenerbe“ und rief Großprojekte wie den „Kriegseinsatz der Geisteswissenschaften“ ins Leben, um eine bessere, zielgenauere Ausrichtung der Forschungsthemen auf NS-Leitsätze und einen Zugriff auf die Wissenschaftler zu erreichen.
Die Wissenschaftler ihrerseits profitierten vom Staat: Die neu geschaffenen Institute boten zusätzliche Arbeitsmöglichkeiten und Infrastruktur für die Wissenschaftler. Der „Kriegseinsatz der Geisteswissenschaften“ stellte eine – vom RFR bezahlte – zusätzliche Publikationsplattform bereit. Besonders im Krieg bot der RFR den Forschern bessere Rahmenbedingungen: Er befreite mit der UK-Stellung Wissenschaftler vom Wehrdienst und besorgte dringend benötigte Forschungsmaterialien. Der Krieg und die kriegsführenden Behörden stellten für die Wissenschaft „Versuchsobjekte“ wie Kriegsgefangene bereit. In den KZs stand „Versuchsmaterial“ zum Testen von der Wirksamkeit von Medikamenten zur Verfügung. Wissenschaftler und Forscher konnten durch die herrschende Ideologie ihre moralischen Einwände leicht beiseiteschieben: „Die nationalsozialistische Rassentheorie kam Wissenschaftlern dort besonders entgegen, wo sie die Menschen in höherwertige und minderwertige einteilte und damit ein Wertesystem vorgab, nach dem Menschen privilegiert, versklavt oder „ausgemerzt“ werden sollten – so die Historiker Götz Aly und Susanne Heim in ihrem Buch „Vordenker der Vernichtung“ (2013, 449).
Die Anpassung der deutschen Wissenschaft an das NS-Regime geschah schnell und reibungslos – auch weil der Nationalsozialismus nicht als Systembruch, sondern vielmehr als eine Fortführung von Entwicklungen aus der Weimarer Republik oder sogar schon aus der Kaiserzeit wahrgenommen wurde. In der Wissenschaft bestand ein solider Grundkonsens darüber, dass die zu fördernde Forschung dem Aufstieg Deutschlands zu einer Großmacht beziehungsweise dem Sieg im Zweiten Weltkrieg zu dienen habe (Wagner, 2010a: 33). Inhaltlich war die Forschungsförderung bereits in den letzten Jahren der Weimarer Republik auf nationalpolitische Zielsetzungen, vor allem Autarkie-, Rüstungs-, Volks-, Rassen- und Gesundheitsforschung ausgerichtet (Nötzold, 2010: 81). Antisemitische Tendenzen zeigten sich schon in den 20er-Jahren, selbst eine „harte“ Disziplin wie die Physik war nicht davor gefeit, eine „ Deutsche Physik“ (auch „arische Physik“) zu proklamieren. Johannes Stark, einer der einflussreichsten Vertreter dieser „Schule“, war von 1934 bis 1936 DFG-Präsident.
Dass mancher Wissenschaftler auch aus vermutlich schlicht opportunistischen Motiven gerne bereit war, sich an die neuen Spiel- und Sprachregeln anzupassen, mag abschließend die folgende Genese des Titels eines Antrags belegen, mit der ein Nachwuchswissenschaftler in jenen Jahren des politischen Umbruchs offensichtlich die Bewilligungschancen seines Stipendienantrags im Geiste der Zeit zu befördern dachte.
„Individuelle Entwicklungsgeschichte des Wespenstaates“ (1930)
„Biologisch-soziologische Untersuchungen am Wespenstaat“ (1932)
„Untersuchungen über die völkische Organisation im Wespenstaat“ (1936)
Im Text finden sich an verschiedenen Stellen Links auf Sammlungen von Anträgen in GEPRIS Historisch, die jeweils ein bestimmtes Merkmal aufweisen. Hierzu gehören etwa Anträge, die im Rahmen des „Kriegseinsatzes der Geisteswissenschaften“ gefördert wurden, Anträge der „Reichsarbeitsgemeinschaft für Raumforschung“ oder Anträge zu bestimmten geisteswissenschaftlichen Großprojekten, zum Beispiel Monumenta Germanica Historiae. Bei all diesen Fundstücken ist zu beachten, dass sie mehr oder weniger große Lücken aufweisen. Neben Problemen der Abdeckung ist dies vor allem der Quellenlage geschuldet. Besonders deutlich wird dies am Beispiel der Anträge aus dem Bereich „Kriegseinsatz der Geisteswissenschaften“. Aus der Literatur ist bekannt, dass hieran über 600 Wissenschaftler beteiligt waren, in GEPRIS Historisch sind es weniger als 30 Personen, bei denen die Quellen darüber Auskunft geben, dass Anträge dieser Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu diesem Bereich gehören.
Detaillierte Hinweise zu den Hintergründen von DFG-Vorhaben lassen sich vor allem den im Bundesarchiv gesammelten Fallakten entnehmen. Diese enthalten in der Regel die Anträge, Gutachten sowie bei Bedarf verschiedene Stellungnahmen und andere Materialien. Anträge, zu denen solche Akten vorliegen, verweisen in GEPRIS Historisch unter der Rubrik „Quelle“ etwa auf den R-73-Bestand (DFG-Akten) des Bundesarchivs sowie auf das dort verzeichnete Aktenzeichen. Mithilfe des über die R-73-Kennzeichnung verlinkten Findbuchs des Bundesarchivs lassen sich im ersten Zugang weiterführende Strukturinformationen zu den einzelnen Akten einsehen.
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