Afrika als koloniales Forschungsprojekt: Die öffentliche Förderung der deutschen Afrikaforschung 1920 bis 1945

Von Holger Stoecker

Die 1920er Jahre waren eine Zeit voller Umbrüche für die Afrikaforschung in Deutschland. Diese musste sich mit den Folgen der deutschen Niederlage im Ersten Weltkrieg auseinandersetzen, dem Verlust der deutschen Kolonien, dem Ausschluss aus der internationalen wissenschaftlichen Gemeinschaft und schließlich der Notwendigkeit, die Afrikaforschung vor einer deutschen Öffentlichkeit zu rechtfertigen, die zumindest teilweise skeptisch gegenüber kolonialen Fragen geworden war. Dabei versprach man sich von Politik, Kultur und Wissenschaft durch die neu gegründete Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft eine identitätsstiftende Funktion.

Der Fachausschuss für Völkerkunde

Im Zuge der Gründung der Notgemeinschaft hatte man bei der Einteilung der Wissenschaft in Fachausschüsse der Erforschung außereuropäischer Kulturen zunächst kaum Beachtung geschenkt (zur Rolle der Fachausschüsse siehe Themenseite „Die Fachausschüsse – ein zentrales Selbstverwaltungselement von Notgemeinschaft und DFG“) . In einem frühen Entwurf über die Aufteilung der wissenschaftlichen Disziplinen ordnete man etwas unbeholfen die Zuständigkeiten für die Forschungen über „Afrikanisch“ als Sprache dem Fachausschuss „Alte und Orientalische Philologie“ sowie die zur „Völkerkunde (Anthropogeographie und Anthropologie)“ dem Fachausschuss für „Mineralogie, Geographie, Geologie“ zu. Erst auf Initiative des Ethnologie-Professors und Direktor des Museums für Völkerkunde Hamburg Georg Thilenius kam es zur „Bildung eines besonderen Fachausschusses der Anthropologie, Völkerkunde, Volkskunde, Vorgeschichte, Eingeborenensprachen“.
Zur Wahl im Jahr 1922 wurden der Verband deutscher Museen für Völkerkunde, die Deutsche Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte, die Berufsvereinigung der Prähistoriker und der Verband deutscher Vereine für Volkskunde um Wahlvorschläge gebeten. Wahlberechtigt war die gesamte deutsche Professoren- und Dozentenschaft an den Universitäten, Technischen Hochschulen, wissenschaftlichen Akademien und Kaiser-Wilhelm-Instituten.
Die erstmalige Zusammensetzung des Völkerkunde-Fachausschusses sollte zwar unter der Ägide des Hochschulverbandes stehen, wurde aber faktisch von Thilenius benannt: für die Anthropologie Rudolf Martin, für die Ethnographie Karl Weule, für die Prähistorie Hans Seger, für die Volkskunde Otto Lauffer, und für die „Eingeborenensprachen“ der Hamburger Afrikanist und Theologe Carl Meinhof. Kurz darauf kam noch der Rassenanthropologe Eugen Fischer hinzu. Meinhof übernahm auf Vorschlag von Thilenius den Vorsitz des Fachausschusses.
Er hatte das Amt von 1921 bis 1934 ununterbrochen inne, also über drei Fachausschuss-Wahlen 1922, 1929 und 1933 hinweg, und gab auch nach der (Selbst-)Gleichschaltung der Deutschen Forschungsgemeinschaft 1934 gutachterliche Empfehlungen, als die „früher üblichen fachlichen Beurteilungen durch die professoralen Gutachter in den Fachausschüssen“ (Mertens 1999) abgeschafft und andere Fachreferenten längst zurückgetreten waren.

BILD: Prof. Dr. Carl Meinhof, deutscher evangelischer Theologe, Afrikanist und Pfarrer.

Prof. Dr. Carl Meinhof, deutscher evangelischer Theologe, Afrikanist und Pfarrer.

Quelle: Bildbestand der Deutschen Kolonialgesellschaft in der Universitätsbibliothek Frankfurt am Main.

Aufgrund seiner Position in der Deutschen Forschungsgemeinschaft konnte Meinhof Einfluss auf die Entwicklung der deutschen Afrikanistik in der Weimarer Zeit ausüben wie kaum sonst jemand. Zwar gab es für deutsche Afrikanisten auch andere Möglichkeiten, eine finanzielle Förderung für ihre Studien zu erhalten, doch diese waren sehr viel stärker den tagespolitischen und haushaltspolitischen Vorgaben unterworfen. Sie wurden in erster Linie von staatlichen Stellen wie dem preußischen Kultusministerium, dem Auswärtigen Amt oder dem Reichsinnenministerium bereitgestellt. Private Quellen wie die Baessler-Stiftung oder vermögende Mäzenaten wie der Baron van der Heydt konnten nur punktuell und in einem wesentlich geringeren Umfang Mittel bereitstellen. Das gilt auch für das „International Institute of African Cultures and Languages“ (IAI) in London, das bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges durch die Vermittlung des Afrikanisten und Schülers Meinhofs, Dietrich Westermanns, etwa ein Dutzend deutscher Afrikanisten mit Forschungsstipendien und bei der Herausgabe ihrer Bücher unterstützte.

Förderung der Afrikaforschung durch die DFG bis zur Gründung des Reichsforschungsrates

Zwischen 1925 und 1933 nahmen die afrikabezogenen Anträge bei der Notgemeinschaft deutlich zu. Dieser Aufschwung korrespondierte mit dem Aufleben der kolonialpolitischen Debatten in jenen Jahren. Mitte der 1920er Jahre steuerte die Propaganda der deutschen Kolonialbewegung, welche von den Alliierten die Rückgabe der ehemaligen deutschen Kolonien in Afrika forderte, auf einen Höhepunkt zu. Zu dieser Mobilisierungskampagne zählte zum Beispiel der Deutsche Kolonialkongress im September 1924, den die Koloniale Reichsarbeitsgemeinschaft (KORAG), ein Dachverband zahlreicher kolonialer Organisationen, aus Anlass des 40. Jahrestages des Beginns deutscher Kolonialpolitik in der Berliner Universität veranstaltete, sowie die Locarno-Konferenz, die für die Kolonialbewegung 1925 die ersehnte Gelegenheit bot, von den Alliierten koloniale Zugeständnisse zu erhalten.
Die Zunahme Afrika-bezogener Projektanträge in diesem Zeitraum war darüber hinaus die Folge des Heranwachsens einer „zweiten Generation“ deutscher Afrikanisten, die der „Gründergeneration“ von Meinhof und Westermann folgte. Diese zweite Generation studierte in der Regel nach dem Ersten Weltkrieg und drängte spätestens seit Ende der 1920er Jahre in die akademische Laufbahn. Die Zunahme der oftmals kolonialpolitisch begründeten Afrika-bezogenen Forschungsanträge an die Notgemeinschaft ab Mitte der 1920er Jahre traf allerdings auch auf Kritik und Unverständnis. So beschwerte sich 1930 der Wirtschaftshistoriker Bruno Kuske (1876–1964), Mitglied des Hauptausschusses der Notgemeinschaft, unter dem Eindruck der permanenten Finanznot, „dass, wenn es mit unseren Mitteln hart auf hart gehe, manche Förderungen vorläufig zurückgestellt werden könnten, die sich z. Zt. auf nicht übermässig dringliche Untersuchungen erstrecken, bei denen sich der Eindruck aufdrängt, dass es sich womöglich sogar um eine gewisse ‚Mode‘ handelt. Ich wies aus meinem eigenen Bereich an Forschungs- und Arbeitsinteressen auf die übertriebene Spezialisation hin, die in der Erforschung unserer früheren Kolonien besteht“. Hierbei sei „die Notgemeinschaft bis in die letzten Listen hinein zum Teil [...] besonders auffallend angegangen“ worden. Der Einwand Kuskes gegen die kolonialwissenschaftliche „Mode“ in der Förderpraxis der Notgemeinschaft zeigt, dass trotz der massiven kolonialrevisionistischen Propaganda ein nicht unerheblicher Teil der Öffentlichkeit wie auch der akademischen Welt in Deutschland dazu neigte, das koloniale Engagement als ein abgeschlossenes Kapitel der deutschen Geschichte zu betrachten.
In vielen Anträgen an die Deutsche Forschungsgemeinschaft fallen zwei wiederkehrende Argumentationsmuster ins Auge: Zum einen betonen die Antragsteller den Erkenntnisgewinn, der durch das Forschungsvorhaben für das „deutsche (koloniale) Interesse“ zu erzielen sei. Zum anderen weisen sie regelmäßig auf die mehr oder weniger direkte Konkurrenz zu den Anstrengungen von Afrikaforschern anderer Kolonialmächte hin, vor allem der britischen. Solcherart Denkfiguren sind nicht nur aufschlussreich für die Positionierung der Antragssteller, sondern auch über die vermutete Position der Adressaten der Anträge.

BILD: Prof. Dr. Carl Meinhof, deutscher evangelischer Theologe, Afrikanist und Pfarrer.

Ausschnitt aus den Forschungstagebüchern des Botanikers, Ethnologen und Forschungsreisenden Günther Tessmann. Die Expedition nach Kamerun in den Jahren 1913 bis 1915 führte zu einer mehrteiligen Monografie, deren Veröffentlichung die DFG 1933 finanzierte. Das obere Bild ist kommentiert mit: "Meine Forschungsstation Bafiahöhe (mein Wohnhaus) im Bau" Das untere Bild: "Blick von meinem Wohnhaus auf die Häuser meiner Leute, Bafiahöhe".

© Archiv der Völkerkundesammlung der Hansestadt Lübeck, Tessmann Tagebücher, Band 6, S.161.

Die Konstruktion eines internationalen wissenschaftlichen Wettbewerbs als Teil des „kolonialen Wettlaufs“ mit dem Ausland gehörte während der Zwischenkriegsjahre offenbar zu den erfolgversprechenden Kommunikationsstrategien zwischen Antragstellern und Gutachtern der Afrikaforschung. Die Afrikaforschung der Zwischenkriegszeit agierte mithin als Teil der kolonialen Bewegung Deutschlands mit einer kolonialrevisionistischen Zielsetzung, die in der deutschen afrikanistischen scientific community weitgehend politischer Konsens war. So befürwortete Georg Thilenius 1933 trotz fachlicher Einwände „aus politischen Gründen“ einen vergleichsweise hohen Zuschuss, die der Berliner Völkerkundler und Privatgelehrte Günter Tessmann für den Druck einer mehrteiligen Monographie über die Ergebnisse einer Forschungsreise nach Kamerun beantragt hatte. Thilenuis betonte, dass Tessmanns Studie auf eine Kamerun-Expedition in den Jahren 1913 bis 1915 zurückgehe, als Kamerun also noch deutsches „Schutzgebiet“ war. Überaus deutlich wird der Zusammenhang von kolonialpolitischer Motivation und wissenschaftspolitischer Förderpraxis, wenn Thilenius in seiner internen Stellungnahme notierte: „Eine Wiederaufnahme kolonialer Betätigung setzt voraus, dass die Unfähigkeit der Deutschen zur Kolonisation widerlegt wird. Dazu sind gute Monographien über die Kolonialvölker unentbehrlich.“ Der Berliner Kunsthistoriker und Ethnologe Eckart von Sydow beantragte 1935 hingegen einen relativ geringen Zuschuss für eine Reise in die britischen Kolonien Westafrikas zur Untersuchung der Benin-Bronzen. Thilenius lehnte den Antrag mit dem Hinweis ab, die Kosten sollte das Internationale Afrika-Institut in London übernehmen, welches er als Agentur des britischen Colonial Office betrachtete, da diesem auch die Ergebnisse zugutekämen. Ähnlich ablehnend äußerte sich Meinhof zum Antrag des Ethnologen Richard Thurnwalds zur Finanzierung von „Psychologische Forschungen zur Frage der Anpassung der eingeborenen Bevölkerung an die europäischen Kultureinflüsse im ehemaligen Deutsch-Ostafrika“, die Thurnwald 1930 im Anschluß an eine vom Internationalen Afrika-Institut finanzierte Expedition plante. Meinhof notierte hierzu kurz: ein „Interesse an der Reise hat weniger die Wissenschaft als die englische Kolonialregierung.“ Die Beispiele ließen sich fortsetzen.

Der vor allem mit dem Namen Bronisław Malinowski verbundene epistemologische Wandel in der europäischen Anthropologie von evolutionistisch-vergleichenden Ansätzen hin zur Bereitstellung von anwendungsorientiertem, kolonialpraktischem Wissen schlug sich in den Afrika-bezogenen Anträgen an die DFG eher verhalten nieder. Die Förderanträge deuten eher auf einen Forschungstrend mit einem relativ starken Beharren auf traditionellen Forschungsansätzen hin, die aus der Vorkriegszeit fortgeführt wurden. Erst in der Mitte der 1930er Jahre wurden Projekte mit klar funktionalistischem Zuschnitt ausgeführt, wie die Reisebeihilfe für Reinhold Schober für Untersuchungen über die wirtschaftlich-sozialen, kulturellen und sprachlichen Auswirkungen des Eindringens der Europäer oder ein Stipendium für Peter von Werder zur Forschung über Typen der sozialen Ordnung in Westafrika. Dies bestätigt die Beobachtung in der bisherigen wissenschaftshistorischen Forschung, dass in Deutschland die Funktionalisten in der zweiten Hälfte der 30er Jahre einen gewissen Aufwind hatten, aber gegen den Widerstand der etablierten Völkerkunde (hier vertreten von Thilenius, unterstützt durch Meinhof) keine gemeinsame Schule oder ein einheitliches Lehrgebäude errichten konnten. Schober und von Werder waren hingegen beide Schüler von Diedrich Westermann, der gegenüber Ansätzen der britischen Anthropologie wesentlich offener war als die Mehrzahl der etablierten Afrikawissenschaftler in Deutschland. Seit 1937 begann Westermann in der DFG auf dem Feld der Kolonialwissenschaften eine größere und schließlich führende Rolle zu spielen.

AFRIKAFORSCHUNG IN DER NS-ZEIT

Das beginnende „Dritte Reich“ bedeutete für die Deutsche Forschungsgemeinschaft eine tiefgreifende Zäsur, die insbesondere durch das Ende ihrer institutionellen Selbstbestimmung charakterisiert war. Neben der Deutschen Forschungsgemeinschaft wurde 1937 mit dem Reichsforschungsrat (RFR) eine Parallelorganisation geschaffen, deren Zuständigkeiten vorwiegend auf dem Gebiet der Natur- und Technikwissenschaften lagen (siehe Themenseite „Die Fachsparten des Reichsforschungsrates – Forschungsförderung unter dem Primat der Nützlichkeit“). In der zweiten Hälfte der 1930er Jahre gab es für Afrika-bezogene Forschungsanträge innerhalb der Deutschen Forschungsgemeinschaft eigentlich keinen rechten Ansprechpartner mehr, wenngleich Carl Meinhof nach der Auflösung der Fachausschüsse bis 1939, wenn auch immer seltener, weiter als Einzelberater und Fachgutachter fungierte. In diesem von einer gewissen Unklarheit geprägte Zustand konnte es durchaus passieren, dass selbst eine Autorität wie Westermann mit einem Antrag scheiterte. So wurde 1938 sein Antrag abgelehnt, für das Institut für Lautforschung an der Berliner Universität einen „Grützmacher’schen Tonhöhenschreiber“ zum Studium westafrikanischer Sprachen für 4.200 RM anzuschaffen. Es war die letzte Ablehnung eines Antrages von Westermann. Die Beihilfeakten der DFG spiegeln einen deutlichen Rückgang Afrika-bezogener Projektanträge zwischen 1936 und 1939.

Das Großprojekt „Afrika-Forschungen nach dem Weltkriege“

Dem gegenüber nahm das Forschungsfeld auf Seiten des RFR rasch Fahrt auf. Im Rahmen des vom RFR eingerichteten, zentral koordinierten und multidisziplinären Großprojektes „Afrika-Forschungen nach dem Weltkriege“ wurden die meisten Afrika-bezogenen Anträge aus den Jahren 1937 bis 1940 gefördert (Die Förderung lief unter dem Begriff „Gemeinschaftsarbeiten“, ein Programm, das die DFG 1926 als Vorläufer des heutigen Schwerpunktprogramms eingerichtet hatte, das aber nach der weitgehenden Übernahme des DFG-Fördergeschäfts durch den RFR offiziell beendet wurde (vgl. „Themenseite Gemeinschaftsarbeiten“). Das bibliographische Projekt galt als Auftakt der kolonialwissenschaftlichen Großforschung. Es stand unter Leitung des Breslauer Geographen Erich Obst und hatte zum Ziel, die gesamte nach dem Ersten Weltkrieg erschienene Literatur in einer kolonialen Universal-Bibliographie zu erschließen. Ziel des Monumentalprojektes war, „die in Afrika selbst gesammelten Erfahrungen und das gewonnene Literaturmaterial zu einer handbuchartigen Darstellung des betreffenden Sachgebiets zu verarbeiten“ und über eine reine Bibliographie hinaus ein „den wichtigsten Erfordernissen der kolonialen Praxis genügendes Afrika-Handbuch zu schaffen“ (Obst 1942: 204). In dieses erste Afrika-bezogene Gemeinschaftsprojekt waren mehr als 70 Wissenschaftler aus geistes-, sozial-, technik- und naturwissenschaftlichen Disziplinen aus dem gesamten Deutschen Reich einbezogen. Die Honorarmittel für die Sachgruppenleiter stellte das Kolonialpolitische Amt der NSDAP, unter dessen Ägide das Projekt stand, und die Gruppe Deutscher Kolonialwirtschaftlicher Unternehmen zu Verfügung.

Unterstützt wurde das Projekt darüber hinaus von der Präsidialkanzlei, vom RFR, vom Reichskolonialbund sowie aus dem „Dispositionsfonds des Führers“. Aus Mitteln der DFG wurden darüber hinaus vor allem für jüngere Wissenschaftler Stipendien gewährt, „die sich nach kürzlich erfolgter Promotion durch die Mitarbeit an dem Afrika-Werk die Aussicht für spätere Verwendung bei der Feldarbeit in Afrika erringen wollten“ (Obst 1942: 204). Von der auf insgesamt 24 (Teil-)Bände geplanten Gesamtbibliographie erschienen im Berliner Verlag Walter de Gruyter von 1941 bis 1943 lediglich 15 Ausgaben als Reihe „Afrika. Handbuch der praktischen Kolonialwissenschaften“, und diese teilweise ohne anfangs angekündigte Teilstudien. Das Schicksal der nicht erschienenen Werke, die im Herbst 1941 zum Teil bereits druckfertig vorgelegen oder kurz vor ihrem Abschluss gestanden haben sollen, bleibt ungewiss.

Die Kolonialwissenschaftlichen Abteilung des Reichsforschungsrates

Um den „einmal gebildeten Kreis nach Beendigung des Werkes nicht einfach wieder auseinandergehen“ zu lassen, regte Erich Obst 1939 gegenüber dem Leiter des KPA Franz Ritter von Epp die Bildung einer „Deutschen Kolonialwissenschaftlichen Akademie“ an. Eine solche Akademie könne, so schlug Obst vor, unter Ausweitung der bestehenden Sachgebiete und Beteiligung aller bedeutenderen Fachwissenschaftler kolonialwissenschaftliche Themen erörtern, gutachterliche Tätigkeiten für staatliche Stellen leisten sowie Expeditionen nach Afrika ausrüsten. Aus Obsts Plan einer Akademie-Gründung wurde zwar nichts, doch lag mit ihm bereits der Grundriss vor, nach dem im September 1940 die „Kolonialwissenschaftliche Abteilung des Reichsforschungsrates“ (KWA) eingerichtet wurde, die bis zum Kriegsende im Mai 1945 faktisch ein Koordinierungsmonopol für die afrikabezogene Forschung in Deutschland ausübte. Nunmehr war, und zwar nicht nur im Bereich der Afrikaforschung, die auf den einzelnen Wissenschaftler orientierten Forschungsförderung, wie sie von der DFG bis etwa zur Mitte der 1930er Jahre betrieben wurde, zum Auslaufmodell geraten. Der politische Kontext in Deutschland, in dem die Gründung der KWA stattfand, war vor allem durch die nur wenige Monate zuvor von der nationalsozialistischen Führung und von Hitler selbst ausgegebenen Perspektive auf die Wiedererrichtung eines deutschen Kolonialreiches gekennzeichnet. Ebenso eröffnete der schnelle militärische Sieg des nationalsozialistischen Deutschlands über die europäischen Kolonialmächte Frankreich, Belgien und die Niederlande im Sommer 1940 die Aussicht, nun „neben der Neugestaltung des europäischen Raumes einschneidende Änderungen auch in Afrika“ (Wolff 1941a) angehen zu können. Die Aufgabe der KWA hierbei war es, als Schnittstelle zwischen staatlichen Ämtern, Einrichtungen der NSDAP, der Wehrmacht, der Wirtschaft und einschlägigen wissenschaftlichen Einrichtungen zu fungieren und die notwendigen Koordinierungen vorzunehmen. Sie sollte „den Einsatz der deutschen Kolonialwissenschaft planvoll und erfolgreich vorbereiten und durchführen“, ihn mit den politischen Vorgaben des Kolonialpolitischen Amtes der NSDAP sowie mit den Wünschen der kolonialen Wirtschaft abstimmen und ebenso den der „Initiative deutscher Wissenschaftler entspringenden Vorschlägen und Anregungen gebührende Beachtung“ (Wolff 1941a) entgegenbringen. Bis zum Kriegsende im Mai 1945 beanspruchte die KWA faktisch ein Koordinierungsmonopol für die gesamte Afrika-bezogene Forschung in Deutschland. Als ihr Leiter legte Günther Wolff großen Ehrgeiz an den Tag, um die KWA in enger Koordination mit dem Kolonialpolitischen Amt der NSDAP zu der zentralen interdisziplinären Trägerinstitution des „Dritten Reiches“ für kolonialwissenschaftliche Forschungen auszubauen. Zwar hatte die Völkerkunde hierbei nicht mehr den Rang einer Leitdisziplin, wie er ihr noch in Gestalt des „Fachausschusses für Völkerkunde“ der DFG vor 1933/34 zukam. Dennoch behielt die Völkerkunde ihre Kompetenz in Fragen der Bevölkerungspolitik und der Arbeitsorganisation. Die Aufgabe der KWA lautete in Kurzform: „Betreuung und Förderung kolonialer Arbeiten auf allen Gebieten der Wissenschaft“.

Erste ausführlichere Vorstellungen über das wissenschaftliche Programm der KWA legte Wolff bereits Ende Oktober 1940 in einer Rede vor hohen und höchsten Funktionsträgern des NS-Wissenschaftsbetriebes dar. Wolff hielt diesen Vortrag am 30. Oktober 1940 auf der Feier zur Eröffnung des „Haus der Deutschen Forschung“ in Berlin-Steglitz, in dem der Reichsforschungsrat und die DFG fortan bis zum Kriegsende residierten. Mit der Eröffnungsfeier wurde zugleich der 20. Gründungstag der Notgemeinschaft begangen. Die Tatsache, dass Wolff hier neben dem DFG-Präsidenten Rudolf Mentzel sowie dem einflussreichen IG-Farben-Chemiker und Generalbevollmächtigten Hermann Görings, Carl Krauch, als ein in der Hierarchie der NS-Wissenschaftsbürokratie vergleichsweise nachrangiger Leiter einer erst kurz zuvor gegründeten Abteilung des Reichsforschungsrates als Festredner auftrat, wirft ein Schlaglicht auf die herausgehobene Stellung, die den Kolonialwissenschaften in der ersten Hälfte des Zweiten Weltkrieges eingeräumt worden war. Wolff bezeichnete in seiner Rede Afrika „als natürliches Vorland und wertvolle[n] Ergänzungsraum Europas“ (Wolff 1941a), auf das sich die nationalsozialistische Kolonialtätigkeit konzentrieren werde. Im Brennpunkt des deutschen Interesses stünden „wirtschaftlich bisher kaum ausgenutzte Möglichkeiten vor allem auf landwirtschaftlichem, bergbaulichem und forstlichem Gebiet“. Die Kolonialforschung stehe bei der Erfüllung des nationalsozialistischen Kolonialprogramms in einer Reihe mit der Kolonialverwaltung und der Kolonialwirtschaft. Dem wachsenden Kolonialinteresse in Deutschland entspräche, so Wolff, die zunehmende Zahl „kolonial ausgerichteter Vorlesungen und Übungen“ an den deutschen Universitäten. So hätten für das im September 1940 begonnene dritte Trimester in ganz Deutschland „166 Dozenten insgesamt 278 Vorlesungen und Übungen auf dem Gebiet der afrikanischen Forschung“ angekündigt. Allein in Berlin würden 29 Dozenten 77 Afrika-bezogene Vorlesungen und Übungen abhalten. Weitere Schwerpunkte bildeten die Universitäten in Hamburg, Wien, Prag, Leipzig sowie die Bergakademie Freiberg. Die Wiedereröffnung bzw. Neugründung von kolonialwissenschaftlich orientierten Instituten, wissenschaftlichen Gesellschaften und Verbänden kündeten, so Wolff, vom „kolonialen Willen im deutschen Hochschulleben“. Wolff beschrieb das Wirken der KWA als Fortsetzung der im Rahmen der Notgemeinschaft und der DFG erfolgten Forschungsförderung der vorangegangenen 20 Jahre. Bis 1937 umfasste deren „Afrika-Arbeit“ 47 durchgeführte Unternehmungen. Diese Zahl sei ab 1937 unter der Ägide des Reichsforschungsrates erheblich gesteigert worden; in den Jahren 1938 und 1939 seien bereits 70 Forschungsaufträge in Afrika zur Durchführung gekommen. In dieser Zahl sind vor allem tropenmedizinische und landwirtschaftliche Projekte des „Forschungsdienstes“ enthalten, die sich nicht in den Beihilfeakten der DFG wiederfinden. Zu den größeren Afrika-Unternehmungen dieser Jahre zählte aber auch die zweite Ostafrika-Expedition von Ludwig Kohl-Larsen im Jahre 1938. Um den „bisher kaum geahnten Umfang“ der künftigen deutschen Kolonialforschung erfolgreich zu bewältigen, sei es notwendig, so Wolff, dass nunmehr „die Grund- und Geisteswissenschaft unzertrennbar mit den angewandten Wissenschaften verbunden“ werde. Die Aufgabe der von Wolff wiederholt an erster Stelle genannten Ethnologie und Ethnographie sei es demnach, die „Grundlagen für die richtige Behandlung des Eingeborenen [zu] schaffen“. Die Sprachforschung solle „ein wirkliches Eindringen in die Seele und Kultur des Eingeborenen und seine erfolgreiche Unterrichtung und Aufklärung“ ermöglichen. Aufgabe der kolonialen Rechtsforschung sei die „vernünftige Weiterentwicklung eines arteigenen Eingeborenenrechts“, um zu verhindern, „den Eingeborenen [...] zum Europäer zu machen“. In gleicher allgemeiner Weise formulierte Wolff ebenso Aufgaben für Tropen- und Veterinärmedizin, Boden- und Forstkunde, Pflanzen- und Tierzucht, Botanik, Kartographie, Betriebswirtschaft, Verkehrstechnik – alle mit dem Blick darauf, den afrikanischen Raum effizient für das fest in den Blick genommene NS-Kolonialreich zu erschließen. Die üppige Ausstattung der KWA mit finanziellen Mitteln ermöglichte es, eine Vielzahl von Wissenschaftlern in verschiedenster Weise in die Mitarbeit einzubinden. Das hier abgebildete Organigramm deutet mit seinen immerhin 28 unterschiedenen Fachgruppen die große Vielfalt der adressierten Forschungsfragen an. Die Zahl der mitwirkenden Akademiker soll nach Wolffs Angaben innerhalb eines Jahres bereits 500 überschritten haben. Es kann daraus geschlossen werden, dass sich an den KWA-Aktivitäten ein Großteil der professoralen Elite und des wissenschaftlichen Nachwuchses aus so gut wie allen Disziplinen beteiligte, von denen in irgendeiner Weise ein Beitrag zur Bearbeitung vor allem von anwendungsorientierten kolonialwissenschaftlichen Fragestellungen zu erwarten war. Insbesondere aus solchen Disziplinen, die sich traditionell mit den Kolonien befassten wie die Völkerkunde und die Afrika-Linguistik, stand kaum jemand abseits.

BILD: Organisationsplan der KWA.

Organisationsplan der KWA mit den Leitern der Kolonialen Fachgruppen, Dezember 1941 (Stoecker 2008, S.262). Außerhalb der im Organisationsplan angeführten Fachgruppen fungierten als zusätzliche Spezialgutachter für Sonderaufgaben u.a. Erich Obst (Breslau), Peter Mühlens (Hamburg), Geo A. Schmidt (Berlin), Paul Vageler (Hamburg), Wilhelm Semmelhack (Hamburg) und Gustav Rose (Berlin). In GEPRIS Historisch finden sich 35 der hier aufgelisteten Personen. Vollansicht hier.

Günter Wolff (1941a).

Die Kolonialwissenschaftliche Abteilung war sowohl eine Instanz, die Mitteln für die koloniale Forschung bereitstellte, als auch eine wissenschaftsorganisatorische Plattform, auf der kolonialwissenschaftliche Forschungsziele konzeptionell erörtert und vorgegeben wurden. Eine Folge dieser Praxis war, dass die im Rahmen der KWA mitarbeitenden Wissenschaftler auch ausgiebig von ihr mit Mitteln bedacht wurden, denn die Leiter der Fachgruppen waren zugleich die zuerst befragten Gutachter. Zum Verfall der wissenschaftlichen Sitten gehörte auch, dass wie im Falle eines umfangreicheren Vorhabens Westermanns auf die Fachbegutachtung völlig verzichtet wurde bzw. dass ihm als Fachgruppenleiter ein Vorhaben, an dem er selbst im Auftrage des Reichsforschungsrates leitend teilnahm, auch gleich zur Begutachtung vorgelegt wurde. Das tragende Element der politischen Ideologie in der Kolonialpolitischen Abteilung war die starke Naherwartung eines deutschen Kolonialreiches in Afrika, an dessen Wiedererwerb sich deutsche Wissenschaftler aktiv beteiligen würden (siehe Infobox): „Der deutsche Wissenschaftler wird der erste sein, der dem deutschen Soldaten auf dem Fuße folgt“ (Wolffb 1941b). Die Realität sah indes anders aus. Da nach dem Ausbruch der Kriegshandlungen den Forschern der Zugang zum Forschungsfeld in Afrika weitgehend versperrt blieb, wandten sie sich notgedrungen der Arbeit in heimischen Bibliotheken, Archiven und Museumsdepots zu. Dieser Umstand ist von Wolff wiederholt beklagt worden, schwebte ihm doch die Errichtung von großen zentralen Forschungsinstituten vom „Typ Buitenzorg“, einer niederländischen Forschungsstation auf Java (Indoniesien), und von zahlreichen Versuchsstationen vor, die auf der „afrikanischen Erde als Träger und Rückgrat der Feldforschung“ dienen sollten.

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BArch Berlin R 4901/3101 „Internationale Kolonialwissenschaft, Europäische Kolonialwissenschaftliche Akademie“. Unterstreichungen im Original.

Nur in wenigen Fällen fand die KWA Gelegenheit, finanzielle Mittel bereitzustellen, um Afrika-Forschern während der Kriegsjahre eine Reise überhaupt aus Deutschland heraus zu ermöglichen. Im Mai 1941 reiste Erwin Mai, ein Mitarbeiter Westermanns, nach Holland, um aus den Bibliotheken von Universitäten und Kolonialinstituten die dort gesammelte Kolonialliteratur nach Berlin zu schaffen. Westermanns teuerstes Vorhaben sollte 1941 im von der deutschen Wehrmacht besetzten Frankreich realisiert werden. Zur Durchführung von Schallplattenaufnahmen wichtiger afrikanischer Sprachen in Gefangenenlagern in Frankreich beantragte er am 10. März 1941 5.850 RM, die bereits fünf Tage später bewilligt wurden. Auf eine Begutachtung seitens der KWA sollte in diesem Fall verzichtet werden, „da Professor Westermann selbst der allseitig anerkannte beste deutsche Fachmann auf diesem Gebiet ist“. Als ein erfolgreicher kolonialwissenschaftlicher Konjunkturritter erwies sich der Kolonialhistoriker Egmont Zechlin, Ordinarius für Überseegeschichte und Kolonialpolitik an der Auslandswissenschaftlichen Fakultät der Berliner Universität und Leiter der Fachgruppe „Koloniale Geschichte“ der Kolonialwissenschaftlichen Abteilung. Seit Kriegsbeginn mit kleineren Arbeiten zur deutschen Kolonialgeschichte in Afrika und Asien befasst, erkannte Zechlin im Frühjahr 1943 in der Zuspitzung der militärischen Lage für die deutsche Wehrmacht in Nordafrika die Chance, ein neues umfangreiches Projekt auf den Weg zu bringen. Er brach ein seit 1941 laufendes größeres Projekt zur Geschichte der deutschen Schutzgebiete und deutschen Siedlungen in Afrika ab und beantragte am 6. April 1943 für die Bearbeitung des Themas Nordafrika als historisch-politischer Schicksalsraum die Bereitstellung von 16.960 RM. Neun Mitarbeiter und wissenschaftliche Hilfskräfte sollten ein Jahr lang „die Tätigkeit deutscher Kolonialpioniere im nordafrikanischen Raum und die [...] gesamtpolitischen Zusammenhänge hierfür“ untersuchen. „Im Zusammenhang mit den kriegerischen Ereignissen in Nordafrika“ ergäbe sich die Notwendigkeit, so Zechlin, die „bisherigen Themen den kriegsbedingten wissenschaftlichen Aufgaben“ anzupassen. Daher plante Zechlin in diesem thematischen Zusammenhang selbst einen Beitrag über die „Unternehmungen Napoleons I. in Nordafrika“ und weitere Themenstellungen, insbesondere über die „Politik der europäischen Großmächte in Nordafrika im 20. Jahrhundert“. Das DFG-Präsidium stufte Zechlins Vorhaben als kriegswichtig ein und stellte bereits eine Woche später mit knapp 17.000 RM die höchste Summe bereit, die jemals von der KWA für ein kolonialwissenschaftliches Einzelprojekt gewährt wurden. Gleichwohl – auf den Tag genau einen Monat nach der Bewilligung des Antrags Zechlins durch den DFG-Präsidenten Mentzel kapitulierte die „Heeresgruppe Afrika“ der deutschen Wehrmacht.

Das Ende der Kolonialwissenschaftlichen Abteilung

Nach der Aufgabe der hochfliegenden Kolonialpläne im Frühjahr 1943 wurden die kolonialwissenschaftlichen Aktivitäten der KWA mehr und mehr auf ein geringes Niveau zurückgefahren. So fanden seit Anfang 1943 keine Tagungen oder sonstige Veranstaltungen mehr im Rahmen der KWA statt. Ein deutliches Indiz für die angespannte Situation, in der die KWA nach der in Stalingrad und Nordafrika herbeigeführten Kriegswende geraten waren, war die Einberufung von Günter Wolff zu einer Propaganda-Einheit in Potsdam und seine Ablösung als KWA-Leiter durch den Kolonialveteran August Marcus, der am 1. Februar 1943 die Geschäftsführung der KWA mit ihren neun Mitarbeitern übernahm. Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges im Mai 1945 waren schließlich alle Aussichten auf einen deutschen Kolonialbesitz in Afrika, deren Erfüllung noch drei oder vier Jahre zuvor unmittelbar bevorzustehen schien, endgültig begraben. Viele Institutionen, an denen Afrikaforschung betrieben wurde, wurden aufgrund ihrer Nähe zum Nationalsozialismus aufgelöst, darunter der Reichsforschungsrat und seine Kolonialwissenschaftliche Abteilung. Die deutsche Afrikaforschung verlor im nationalen wie im internationalen Maßstab massiv an Bedeutung. Von den in der KWA führend mitwirkenden Wissenschaftlern konnten eine ganze Reihe im besetzten Nachkriegsdeutschland, aber auch nach der Gründung von BRD und DDR (Hartmann, Struck, Westermann, Zechlin) in leitendenden Positionen weiterarbeiten. Andere, wie Eugen Fischer, verloren zwar ihre Ämter, behielten in ihren Fachkreisen aber durchaus eine anhaltende Wirkungsmacht.

Afrikaforschung in GEPRIS Historisch

Aktuell bietet GEPRIS Historisch zum Stichwort „Afrika“ genau 722 Nachweise, neben den überwiegend der Rubrik „Antrag“ zugewiesenen Treffern etwa 20 als „Afrikanist“ charakterisierte Personen sowie fünf Forschungseinrichtungen. Die große Zahl darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass insbesondere das Förderhandeln des RFR in der Datenbasis des Informationssystems stark untererfasst ist (siehe Themenseite „Die Datenquellen von GEPRIS Historisch“). In GEPRIS Historisch sind genau 50 Anträge für drei direkt für die Kolonialwissenschaftliche Abteilung des Reichsforschungsrates tätige Wissenschaftler verzeichnet (für den Leiter Günter Wolff sowie für Michel Vorontsoff-Dachkoff und Wolfgang Schubert). Darüber hinaus sind für die 24 Leiter der Kolonialen Fachgruppen der KWA (siehe obiges Organigramm), die Leiter des Expeditions- (Carl Troll) und des Kolonial-Karthographischen Ausschusses (Walter Behrmann) sowie die sechs Spezialgutachter für Sonderaufgaben allein ab 1940 genau 229 Anträge dokumentiert (darunter auch solche ohne das Stichwort „Afrika“, aber gleichwohl mit Bezug zur „Kolonialfoschung“).

Die dieser Themenseite zugrunde gelegten Studie (Stoecker 2008, Kapitel „Randpersonen der Afrikaforschung“) geht neben den im Fokus stehenden Großprojekten auch auf einzelne DFG-Antragstellende ein, mit zum Teil sehr aufschlussreichen Details zum damaligen Geist der Forschung und ihrer Förderung. Hier sei abschließend auf zwei besonders aussagekräftige Fälle verwiesen:

Für den Berliner Kunsthistoriker und Ethnologen Eckard von Sydow, der von der DFG über mehrere Jahre für seine Arbeiten an einem Handbuch zur (west)afrikanischen Plastik gefördert wurde, ergab sich nach Versiegen der DFG-Quelle in der NS-Zeit eine alternative Forschungsfinanzierung durch die Kulturabteilung des Auswärtigen Amtes sowie das Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung (REM). 1935 warb er dort für die Unterstützung eines Forschungsprojekts zu den durch Felix von Luschan an das Berliner Völkerkundemuseum gebrachten Bronzen von Benin. Sein das Projekt „politisch“ stützendes Argument: „weil an ihrer Wurzel event. deutsche Künstler mitgewirkt haben“. Von Sydows Chef am Kunstgeschichtlichen Institut der Berliner Universität, Wilhelm Pinder, unterstützte diesen abstrus erscheinenden Gedanken: „Sicher ist ferner, dass namentlich die Kunst von Benin eine besondere Beziehung zur deutschen Wissenschaft in sich schliesst; möglich ist sogar, dass Beziehungen zum alten Deutschland vorliegen, mindestens was den Werkstoff angeht. Es wird vermutet, dass Augsburg und die Fuggers, dass deutsche Giesser und Stückmeister eine Rolle spielen“ (Betthausen 1999: 310).

Ebenfalls aufschlussreich ist der Fall einer der wenigen weiblichen Afrikaforschenden, Charlotte Leubuscher. Sie lehrte zu jener Zeit bereits als Privatdozentin an der Universität Berlin über die internationale Wirtschafts- und Sozialpolitik und befasste sich mit sozialökonomischen Aspekten des Sozialismus und Problemen der Industrieverfassung in Großbritannien. Sie beantragte im Frühjahr 1928 bei der Notgemeinschaft 12.000 RM für eine siebenmonatige Studienreise in die Südafrikanische Union. Als Ziel ihrer Reise gab Leubuscher die „Untersuchung der dortigen Arbeiterverhältnisse vom sozialwissenschaftlichen Standpunkt“ an. Da „das Thema ein ganz besonders schwieriges ist“, hegte das Gutachten Zweifel an der „Eignung der Antragstellerin“, Resultate zu erzielen, „die den hohen finanziellen Aufwendungen entsprechen“.

BILD: Charlotte Leubscher.

Charlotte Leubscher.

Charlotte Leubscher. Porträt-Foto von A. Wertheim 1931 © Getty.

Ähnlich des auf der Themenseite „Frauen als Antragstellende“ herausgestellten Falles der Medizinerin und Zoologin Wilhelmine Rodewald brauchte es erst massiven politischen Drucks, bis die DFG-Gutachtenden ein Einsehen hatten, dass auch eine Frau in der Lage sein kann, ein „schwieriges“ Thema zu bearbeiten. Nach wiederholter Ablehnung (aus Dokumenten im Politischen Archiv des AA und im Geheimen Staatsarchiv gehen mindestens 2 Ablehnungen hervor) schaltete sich die Reichstagsabgeordnete der Deutschen Demokratischen Partei Marie-Elisabeth Lüders, zugleich Vorsitzende des Deutschen Akademikerinnenbundes, in die Angelegenheit ein. Sie bat beim Auswärtigen Amt um Aufklärung über die „politischen Gründe“ der Ablehnung und äußerte den wohl nicht ganz unbegründeten Verdacht, „daß die Notgemeinschaft für die wissenschaftliche Betätigung von Frauen geringeres Interesse habe als für die von Männern“. Daraufhin sah sich das Reichsinnenministerium genötigt, die Notgemeinschaft zu einer Klärung der peinlich werdenden Angelegenheit zu veranlassen, denn die inzwischen zur außerordentlichen Professorin berufene Leubuscher hatte Mitte 1929 die Reise nach Südafrika angetreten – allerdings mit finanzieller Unterstützung aus Großbritannien. Ohne die Hintergründe der Ablehnung preiszugeben, erklärte sich die Notgemeinschaft schließlich notgedrungen bereit, der sich bereits in Kapstadt befindlichen Wissenschaftlerin 2.000 RM nachzusenden. Die Tatsache, dass die Notgemeinschaft erst aufgrund der Intervention der Reichstagsabgeordneten Lüders, die für ihr frauenpolitisches Engagement bekannt war, einlenkte und dann auch nur einen kleineren Teil der ursprünglich beantragten Summe bewilligte, unterstreicht die Marginalisierung von Frauen im deutschen Wissenschaftsbetrieb der Weimarer Republik wie auch in der Förderpraxis der Notgemeinschaft.
Literatur

Die Themenseite entstand auf Basis der 2008 veröffentlichten Dissertation „Afrikawissenschaften in Berlin von 1919 bis 1945. Dort findet sich auch eine detaillierte Aufschlüsselung der Originalquellen.

Betthausen, Peter 1999: Wilhelm Pinder, in: Metzler Kunsthistoriker Lexikon. Zweihundert Porträts deutschsprachiger Autoren aus vier Jahrhunderten. Von Peter Betthausen/Peter H. Feist/Christiane Fork/Karin Rührdanz/Jürgen Zimmer, Stuttgart/Weimar, S. 309-312.

Mertens, Lothar 1999: Die Forschungsförderung der DFG im Dritten Reich 1933-1937, in: Jahrbuch für Universitätsgeschichte, 2, S. 58-74.

Obst, Erich 1942: Gemeinschaftsarbeit "Afrikaforschungen nach dem Weltkriege", in: Aufgaben der deutschen Kolonialforschung, hg. von der Kolonialwissenschftlichen Abteilung des Reichsforschungsrates, Stuttgart/Berlin, S.196-208.

Stoecker, Holger 2008: Afrikawissenschaften in Berlin von 1919 bis 1945 - Zur Geschichte und Topographie eines wissenschaftlichen Netzwerkes. Franz Steiner Verlag, Stuttgart.

Wolff, Günter 1941a: Über Aufgaben der deutschen Kolonialforschung, in: BArch Berlin, R 1001-8687/1, Bl. 112–127, hier Bl. 113.

Wolff, Günter 1941b: Die Arbeit der Kolonialwissenschaftlichen Abteilung des Reichsforschungsrates, streng vertrauliches Rede-Manuskript, Juni/Juli 1941, in: BArch Berlin, R 4901-3101, Bl. 32 ff.

  • Zuletzt aktualisiert: 25.09.2024 14:12
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